Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Charalambakis, Ioannis

 
 

Homosexualität im antiken Griechenland

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  Wenn man sich mit der Frage nach den sexuellen Neigungen der Griechen in der Antike beschäftigt, wird man feststellen müssen, daß sich hier oftmals eine für moderne Gesellschaften ungewöhnliche Vorstellung in den Köpfen der Menschen festgesetzt hat. Würde man sie zu den heutigen Verhältnissen befragen, wäre wohl bei den meisten das Bild einer zum größten Teil heterosexuell orientierten Bevölkerung präsent. Im Zusammenhang mit den alten Griechen hingegen, gehen die Gedanken sofort in Richtung Homosexualität, insbesondere hin zur Knabenliebe. Die Vorstellung von älteren Männern, die sich mit jungen Knaben vergnügen wird hauptsächlich durch die schriftliche Überlieferung einschlägiger Texte und in besonderem Ausmaß durch den hohen Bekanntheitsgrad antiker Vasenbilder mit entsprechenden Darstellungen geprägt. Leider handelt es sich dabei aber meist nur um sehr oberflächliche Kenntnisse der Materie, die, wenn nicht sogar gänzlich falsch, durch romantische Einflüsse verklärt oder durch individuell verschiedene Erwartungshaltungen verändert sind. Die Bandbreite reicht dabei von der Ablehnung einer abstoßenden Gesellschaft von Kinderschändern bis zur Sehnsucht nach einer ähnlichen Toleranz im Hinblick auf die freie Entfaltung sexueller Praktiken in der heutigen Welt, wie sie im antiken Griechenland angeblich bestanden haben soll. Daß derart extreme Positionen wohl kaum die Wirklichkeit widerspiegeln können, mag den meisten noch einleuchten, doch stellt sich dann natürlich die Frage nach der konkreten Ausprägung sexuellen Verhaltens zur damaligen Zeit. Die folgende Untersuchung soll einen kleinen Beitrag dazu leisten, einen nur wenig bekannten Aspekt der griechischen Gesellschaft ein wenig zu erhellen.
Dazu müssen die einschlägige Literatur sowie die vorhandenen Quellen erfaßt und analysiert werden. Zunächst zur Quellenlage: Wie in vielen anderen Bereichen, sind, auch was das Thema der homosexuellen Beziehungen betrifft, in erster Linie Zeugnisse aus Athen auf uns gekommen. Für den Zeitraum der Klassik von 480 bis 338 v. Chr. ist das Übergewicht dieser attischen Polis besonders auffällig. Informationen liefern hier vor allem die Vasenbilder, wobei die Funde auf dem Kerameikos eine wichtige Rolle spielen, und literarische Quellen, wie z.B. die philosophischen Schriften von Platon, Aristoteles, Xenophon, die verschiedenen Tragödien und Komödien und andere Abhandlungen. Von anderen Orten der griechischen Welt sind unsere Kenntnisse wesentlich geringer und ergeben sich zum Großteil aus den Werken antiker Dichter und Historiker sowie fragmentarisch überlieferter Gesetzestexte. Auch die moderne Literatur zu diesem Spezialthema hält sich in überschaubaren Grenzen, zumal Homosexualität und Abhandlungen über deren Verbreitung bzw. Ausprägung lange Zeit nicht gesellschaftsfähig waren. Viele Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts versuchten unter Heranziehung der antiken Verhältnisse ihre eigenen Neigungen zu rechtfertigen, was zu einer Reihe tendenziöser Darstellungen führte, die maßgeblich zu dem romantisch verklärten Bild antiker Homosexualität beigetragen haben. Eine umfassende wissenschaftliche Auseinandersetzung kann daher erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts angesetzt werden. Allerdings stehen auch hier oftmals Personengruppen oder Organisationen hinter den Forschungsprojekten, die ein persönliches Interesse an dieser Thematik haben.
An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, daß in diesem Aufsatz ausschließlich die homosexuellen Beziehungen zwischen Männern behandelt werden sollen. Obwohl es auch gleichgeschlechtliche Verbindungen unter Frauen gegeben hat, wobei die Dichterin Sappho,[1] die Ende des 7. bis Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. in Mytilene auf Lesbos wirkte, aufgrund ihrer Liebesgedichte an Mädchen und Frauen Berühmtheit erlangt hatte und sich ihre Werke besonders in der Klassik großer Beliebtheit erfreuten, wurden Verbindungen zwischen Frauen in schriftlichen und bildlichen Quellen kaum wiedergegeben. Gleichzeitig demonstrieren die spärlichen und grundsätzlich ablehnenden Erwähnungen lesbischer Liebe, ein Begriff, der im 5. Jh. v. Chr. keine homosexuellen Verhältnisse, sondern die orale Befriedigung eines Sexualpartners bezeichnete[2], daß ein solches Verhalten keinerlei gesellschaftliche Anerkennung gefunden hat. Unter diesen Umständen - die mangelnde Quellenlage und die Einseitigkeit der wenigen verbliebenen Angaben - erscheint es müßig hier eine fundierte Untersuchung durchzuführen, weshalb darauf verzichtet wird.
 

Fussnote(n):
[1] Für einen kurzen Überblick der erhaltenen Fragmente sapphischer Liebesdichtung siehe Hubbard, Thomas K. (Ed.): Homosexuality in Greece and Rome. A Sourcebook of Basic Documents. Berkeley: University of California Press 2003, 29-36.
[2] Eine Transformation des Begriffes "lesbisch" hin zu seiner heutigen Bedeutung fand vermutlich über einen längeren Zeitraum statt, so daß damit erst während der römischen Kaiserzeit, spätestens aber im 2. Jh. n. Chr. eine homosexuelle Beziehung zwischen Frauen bezeichnet wurde. Siehe dazu Halperin, David M.: The First Homosexuality? In: Martha C. Nussbaum /Juha Sihvola (Eds.): The Sleep of Reason. Erotic Experience and Sexual Ethics in Ancient Greece and Rome. Chicago: Chicago UP 2002, 231.

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