Eine
weitere Strategie bestand darin, in der Fülle des Schrifttums eindeutige
Präferenzen zu setzen, d.h. das Wichtige vom Unwichtigen scheiden zu können. In
bürokratischen Prozessen wird dies typischerweise durch die Markierung des
Eiligen erreicht, nicht immer mit den gewünschten Verbesserungseffekten. Dieses
ist auch im Falle Philipps II. zu beobachten, dessen Sekretäre aufgefordert
waren, eilende Schriften zu markieren. 1588 merkte Philipp jedoch gegenüber
seinem Sekretär an, daß ihn die eiligen Angelegenheiten ‚zerstören’ würden, da
sie ihn von dem abhielten, was er eigentlich zu tun geplant hatte. [37] Die
Unterscheidung des Wichtigen und des Unwichtigen gipfelt letztlich einerseits
in der Archivierung von Schriften, andererseits in ihrer Verbrennung. Das
Archiv von Simancas diente nicht nur dazu, wichtige Staatspapiere sicher zu
bergen, sondern natürlich auch dazu, den Überlauf der Papiere in den einzelnen
Ratsgremien organisiert aufnehmen zu können, zumal sich an allen möglichen
Orten, nicht zuletzt in den Privathäusern der Räte, kleine de facto-Archive
(archivillos) ausbildeten und man von
dieser Desorganisation der Dokumente großen Schaden befürchtete. Die Sekretäre
des Indienrates hatten dementsprechend jährlich ihre Register durchzugehen und
zu deklarieren, welche Papiere nach Simancas übersendet würden. Eine andere
Anweisung lautete, daß die Übersendung jeweils dann stattzufinden habe, wenn
das eigene Archiv des Indienrates voll sei. [38] Dies zeigt, daß die
Auslagerung auch zu einem ad hoc-Verfahren werden konnte, bei dem die
Dokumente aus dem Rat ins Archiv, aus der Hauptstadt Madrid in die Festung
Simancas überführt wurden. Ein anderes Beispiel für einen solchen Prozeß des
‚Überlaufens’ der zentralen Instanzen enthält der Reisebericht der Madame
d’Aulnoy von 1691. Demnach wurden die sich in Madrid ansammelnden
Prozeßschriften einmal jährlich in Säcken zusammengeschnürt und an weit
entfernte Gerichte versandt. In die Hauptstadt sollte nur das Urteil
zurückgemeldet werden. [39]
Philipp
II. selbst hatte Instruktionen für das Archiv von Simancas formuliert, aus
denen seine Vorstellungen über dessen Funktionsweise klar herauslesbar ist.
Auffällig ist dabei einerseits die direkte Verfügungsgewalt des Königs über
Archiv-Auskünfte und die Genehmigung von Abschriften, die seiner persönlichen
Anordnung bedurften. [40] Andererseits ist die Sorge um ein Feuer im Archiv
bestimmend. Jegliche Beheizung oder auch Beleuchtung der Festung von Simancas
wurde untersagt und die Arbeitszeiten entsprechend streng an die Verfügbarkeit
des Tageslichtes angepaßt. [41] Ein dort Ende des 16. Jahrhunderts arbeitender
Schreiber berichtet, daß man wegen der Kälte und des mangelnden Lichts im
Archiv selbst sehr wenig geschrieben habe. [42]
Die
bewußte Verbrennung von Schriften war indes außerhalb des Archivs eine relativ
übliche Praxis. Sie geschah interessanterweise nicht nur mit dem Zweck,
Geheimnisse bewahren zu können oder häretische Schriften zu vernichten, sondern
auch aus dem ganz pragmatischen Grund, sich alter und nutzloser Schriften zu
entledigen. Philipp II. ließ so einerseits den Schriftwechsel mit seinem
Beichtvater Diego de Chaves und die hinterlassenen Dokumente seines Sohnes Don
Carlos verbrennen, andererseits aber auch „Papiere, die alte Dinge betreffen
würden und keinen Nutzen mehr besäßen“ – „que no sean ya menester“. So schlug
Philipp auch die Verbrennung eines Teils der Korrespondenz mit seinen geliebten
Töchtern vor, nicht etwa, um so die Vertraulichkeit der Korrespondenz zu
wahren, sondern schlicht aus pragmatischen Gründen: „por no cargar más de papeles“.
[43]