Der Punkt 3.3
setzt eher bei einer passiven Zurückhaltung, einer Enthaltung der Unterstützung
durch Gott, an. Dagegen kommt es im Itinerarium zu einer aktiven
intervenierenden Rolle Gottes und bedient sich zugleich einer interessanten
Kombination des strafend in die Geschichte eingreifenden Gottes mit der Deutung
des übermächtigen Feindes. Saladin wird als Instrument Gottes, – in Anlehnung
an ein Bibelwort (Jesaja 10, 5-11) – als „virgam furoris sui“ [21] (seines Zornes
Rute) bezeichnet, welches Gott zum Einsatz bringt, um das christliche Volk für
seine Sünden zu strafen. Hier bringt das Itinerarium das christliche Geschichtsbild
und das Feindbild Saladin in Einklang, indem der muslimische Herrscher zum
ausführenden Organ von Gottes Willen wird.
.An einer späteren Stelle des Itinerarium kommt es zu einer
interessanten Verknüpfung der Idee von Saladin als Rute Gottes, der niederen
Abstammung des muslimischen Herrschers und – zumindest in der Lesart von
Margaret Jubb [22] – der Vorstellung vom sich drehenden Rad der Fortuna: Ein
Hofnarr trägt “Deo […] inspirante“ Saladin ein (implizites) Gleichnis vor,
wonach Gott zur Bestrafung der frevlerischen Christen den muslimischen Fürsten
erwählt habe und Gott wie ein Vater aus dem Dreck einen Stock zieht und diesen
nach verrichteter Züchtigung wieder zurück in den Misthaufen stecke. [23] Dies
kann so interpretiert werden, dass Saladin aus niederer Herkunft erhöht worden
ist und, wenn er seinen Zweck getan hat, wieder in seine Ausgangslage
zurückgedrängt wird.
3.5 Saladin als Negativfolie für
gottgesandte weltliche Erlösungsgestalten
Das von einem
englischen Autor verfasste Itinerarium gilt in der Quellenkritik gemeinhin als
Glorifizierung der Taten von Richard Löwenherz. Dieser Aspekt kann auch für die
Themenfrage der Relation Feindbild – Geschichtsbild verwertet werden. Das
Feindbild hat generell nicht nur die Funktion der Vergewisserung der eigenen
(religiösen) Identität, sondern kann als Negativfolie zur Hervorhebung bestimmter
Herrscherfiguren zum Einsatz gebracht werden. Wenn man sich vor Augen hält, wie
die Ankunft Richards geschildert wird [24], so wird klar, dass die Präsentation
einer von Gott geschickten Erlöserfigur eine Folge des von Erlösungssehnsucht
geprägten Geschichtsbilds ist und Feindbild und Heroengestalt als strukturelle
Rollen im Denken des Mittelalters einander bedingen. Schließlich erhält Saladin
sogar noch affirmative Funktion [25], um mit einem positiven Urteil über den
englischen König aus dem Mund des Gegners gesprochen diesem zusätzliches
Gewicht zu verleihen.
Auf gleiche Weise werden in den Annalen Salimbene de Adams bestimmte
Personen (bei Salimbene: die Angehörigen des Hauses Montferrat) als quasi-messianische
Erscheinung in Antithese zum Barbaren Saladin inszeniert. [26]
3.6 Die joachimitische Apokalyptik: Ein
Programm des Dualismus Gut-Böse
Die vorhin schon
angeklungene Erlösungssehnsucht, als Lösung der Spannung zwischen irdischem und
himmlischem Reich, kommt in der sog. joachimitischen Apokalyptik zu einem
Höhepunkt. Diese spirituale Ausrichtung geht zurück auf den kalabrischen Abt
Joachim von Fiore (1138–1202/05), welcher in seiner Lehre die Herstellung eines
Zusammenhangs zwischen konkreter Zeitgeschichte und dem göttlichen Heilsplan
sowie die Einordnung in ein geschlossenes System der konkreten Abfolge des Kampfes
Gut gegen Böse betreibt. [27] Salimbene, selbst ein joachimitischer
Geschichtsschreiber, zitiert einen Text des Joachim von Fiore. In Interpretation
der sieben Köpfe des Drachen in der Johannes-Offenbarung (Apk 17, 9–14) als
sieben Verfolgungen des Christentums heißt es dort: „Sexta [persecutio] presens
est. Saladinus.“ [28] Weiter: „Septima sequitur. Tempus calamitas et miserie.
Hic septimus rex est, qui proprie dicitur Antichristus“ [29]. Saladin wird hier
als direkter Vorläufer des Antichristen praktisch als zeitgeschichtliche
Komponente in ein zahlenmystisch durchrationalisiertes Programm (vor-)endzeitlicher
Kämpfe von Gut gegen Böse eingeflochten.
Nach Wolter haben solche Antichrist-Konzeptionen vor dem Hintergrund des
Geschichtsbildes diese Funktionen: Sie liefern eine Begründung für die
Übermacht des Feindes bei zeitweiliger Unheilserfahrung. Zugleich würde aber
auf lange Sicht gesehen die Ohnmacht des Feindes gegenüber Gott betont. Darüber
hinaus hegten apokalyptische Deutungen die Hoffnung, die Wende vom Unheil zum Heil
stehe unmittelbar bevor. [30]