Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Schmid, Matthias

 
 

Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen His-toriographie des Hochmittelalters

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3.4 „virga furoris sui“: Der strafende Gott

Der Punkt 3.3 setzt eher bei einer passiven Zurückhaltung, einer Enthaltung der Unterstützung durch Gott, an. Dagegen kommt es im Itinerarium zu einer aktiven intervenierenden Rolle Gottes und bedient sich zugleich einer interessanten Kombination des strafend in die Geschichte eingreifenden Gottes mit der Deutung des übermächtigen Feindes. Saladin wird als Instrument Gottes, – in Anlehnung an ein Bibelwort (Jesaja 10, 5-11) – als „virgam furoris sui“ [21] (seines Zornes Rute) bezeichnet, welches Gott zum Einsatz bringt, um das christliche Volk für seine Sünden zu strafen. Hier bringt das Itinerarium das christliche Geschichtsbild und das Feindbild Saladin in Einklang, indem der muslimische Herrscher zum ausführenden Organ von Gottes Willen wird.

.An einer späteren Stelle des Itinerarium kommt es zu einer interessanten Verknüpfung der Idee von Saladin als Rute Gottes, der niederen Abstammung des muslimischen Herrschers und – zumindest in der Lesart von Margaret Jubb [22] – der Vorstellung vom sich drehenden Rad der Fortuna: Ein Hofnarr trägt “Deo […] inspirante“ Saladin ein (implizites) Gleichnis vor, wonach Gott zur Bestrafung der frevlerischen Christen den muslimischen Fürsten erwählt habe und Gott wie ein Vater aus dem Dreck einen Stock zieht und diesen nach verrichteter Züchtigung wieder zurück in den Misthaufen stecke. [23] Dies kann so interpretiert werden, dass Saladin aus niederer Herkunft erhöht worden ist und, wenn er seinen Zweck getan hat, wieder in seine Ausgangslage zurückgedrängt wird.
 

 

3.5 Saladin als Negativfolie für gottgesandte weltliche Erlösungsgestalten

Das von einem englischen Autor verfasste Itinerarium gilt in der Quellenkritik gemeinhin als Glorifizierung der Taten von Richard Löwenherz. Dieser Aspekt kann auch für die Themenfrage der Relation Feindbild – Geschichtsbild verwertet werden. Das Feindbild hat generell nicht nur die Funktion der Vergewisserung der eigenen (religiösen) Identität, sondern kann als Negativfolie zur Hervorhebung bestimmter Herrscherfiguren zum Einsatz gebracht werden. Wenn man sich vor Augen hält, wie die Ankunft Richards geschildert wird [24], so wird klar, dass die Präsentation einer von Gott geschickten Erlöserfigur eine Folge des von Erlösungssehnsucht geprägten Geschichtsbilds ist und Feindbild und Heroengestalt als strukturelle Rollen im Denken des Mittelalters einander bedingen. Schließlich erhält Saladin sogar noch affirmative Funktion [25], um mit einem positiven Urteil über den englischen König aus dem Mund des Gegners gesprochen diesem zusätzliches Gewicht zu verleihen.

Auf gleiche Weise werden in den Annalen Salimbene de Adams bestimmte Personen (bei Salimbene: die Angehörigen des Hauses Montferrat) als quasi-messianische Erscheinung in Antithese zum Barbaren Saladin inszeniert. [26]
 

 

3.6 Die joachimitische Apokalyptik: Ein Programm des Dualismus Gut-Böse

Die vorhin schon angeklungene Erlösungssehnsucht, als Lösung der Spannung zwischen irdischem und himmlischem Reich, kommt in der sog. joachimitischen Apokalyptik zu einem Höhepunkt. Diese spirituale Ausrichtung geht zurück auf den kalabrischen Abt Joachim von Fiore (1138–1202/05), welcher in seiner Lehre die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen konkreter Zeitgeschichte und dem göttlichen Heilsplan sowie die Einordnung in ein geschlossenes System der konkreten Abfolge des Kampfes Gut gegen Böse betreibt. [27] Salimbene, selbst ein joachimitischer Geschichtsschreiber, zitiert einen Text des Joachim von Fiore. In Interpretation der sieben Köpfe des Drachen in der Johannes-Offenbarung (Apk 17, 9–14) als sieben Verfolgungen des Christentums heißt es dort: „Sexta [persecutio] presens est. Saladinus.“ [28] Weiter: „Septima sequitur. Tempus calamitas et miserie. Hic septimus rex est, qui proprie dicitur Antichristus“ [29]. Saladin wird hier als direkter Vorläufer des Antichristen praktisch als zeitgeschichtliche Komponente in ein zahlenmystisch durchrationalisiertes Programm (vor-)endzeitlicher Kämpfe von Gut gegen Böse eingeflochten.

Nach Wolter haben solche Antichrist-Konzeptionen vor dem Hintergrund des Geschichtsbildes diese Funktionen: Sie liefern eine Begründung für die Übermacht des Feindes bei zeitweiliger Unheilserfahrung. Zugleich würde aber auf lange Sicht gesehen die Ohnmacht des Feindes gegenüber Gott betont. Darüber hinaus hegten apokalyptische Deutungen die Hoffnung, die Wende vom Unheil zum Heil stehe unmittelbar bevor. [30]
 

Fussnote(n):
[21] Itinerarium, I, 1, S. 6.
[22] Vgl. Jubb, Saladin, S. 10.
[23] Vgl. Itinerarium, I, 16, S. 31.
[24] Vgl. ebenda, V, 7, S. 319.
[25] Vgl. ebenda, VI, 28, S.430.
[26] Vgl. SdA, Cronica, S. 9.
[27] Zu Vita und Doktrin vgl. E. Pásztor: Joachim von Fiore, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Stuttgart 1999, Sp. 486 f.
[28] SdA, Cronica, S. 665.
[29] Ebenda.
[30] Vgl. Michael Wolter: Der Gegner als endzeitlicher Widersacher. Die Darstellung des Feindes an der jüdischen und christlichen Apokalyptik, in: Franz Bosbach ( Hrsg.): Feindbil-der. die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neu-zeit, Köln u.a. 1992, S. 23–40, S. 30 f.

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