Die
weltbeherrschende Bildungskultur stammt aus den USA; die Elite der Welt bildet
sich in amerikanischen Universitäten und nicht in chinesischen. Wie viele
Nobelpreise gehen nach China? Entwickeln die Chinesen eigene Technologien oder
kaufen sie diese ein? Wie beispielhaft die Raumfahrt dafür ist: der erste
Ein-Mann-Flug wurde von SU und USA vor 45 Jahren unternommen, von China erst
kürzlich, denn Raumfahrtechnologie läßt sich nicht einkaufen und eigene
technische Innovationen sind zu rar und zu lange unterwegs.
Die Entwicklung läuft eher gegen die Chinesen: durch die immer weiter
ausgebauten Massenmedien nehmen sie unsere Kultur auf, was in ihrer Gesellschaft
bereits zu schweren Konflikten geführt hat und noch führen wird: unsere
Individualität wird als gesellschaftlicher Sprengstoff gewertet und seine
Verbreitung möglichst eingedämmt. Sollten die Chinesen einmal von westlichen
Idealen erfüllt sein, werden sie auch westliche Ansprüche stellen.
Wirtschaftliche Macht
Geld ist die Quelle aller
Kultur, Geld ist aber auch Macht: nicht zufällig ist das geldreichste Land der
Welt auch das mächtigste. Daher die sich aufdrängende Frage, ob Chinas
vermeintliche und auffälligste Stärke, nämlich sein Menschenreichtum, irgendwie
beneidenswert ist? Enorme Bevölkerungszahlen
bringen die Prinzipien der dezentralen mit jenen der zentralen Regierung in
Konflikt: mehr Menschen, weniger Kontrolle, weniger Ordnung. Die Lösung kann in
einem partikularistischen Auseinanderstreben und somit in einem gewissen Chaos
bestehen, wie mancherorts in Indien, oder in einer Diktatur, wie der
chinesische Staat sie aufgebaut hat.[6] Es gibt Gegenden in China, wo
ein enormer Überschuß an Arbeitskräften besteht, die aber nicht effektiv in die
Wirtschaft eingebunden werden können (daher, so wird angenommen, jene
achtstelligen Arbeitslosenzahlen), die gleichwohl aber versorgt werden müssen.
Die westlichen Urteile über China faszinieren sich oder erschaudern an den
immensen quantitativen Dimensionen chinesischer Wirtschaftsprogramme und
übersehen dabei die ebenso quantitativen Probleme, die dahinter stehen. Es wird viel geredet und
geklagt über unsere europäische Bevölkerungsentwicklung; sie ist bestimmt nicht
günstig zu nennen, die chinesische indes auch nicht: die Ein-Kind-Familie ist
staatlich subventioniert wegen der Feststellung, daß eine Bevölkerungsabnahme
auf ca. 700 Millionen den Lebensstandard verdoppeln könnte. Die Folge ist ein
Überschuß männlichen Nachwuchses, da Frauen eine geringere gesellschaftliche
Stellung einnehmen und daher weniger Aussicht auf ein Zur-Welt-Kommen erhalten. Bedenkt man diese chinesische
Demographieentwicklung, so kann sich der europäische Wirtschaftsraum (der
gleichfalls seine Wachstumsgrenze noch nicht erreicht hat) mit seinen ca. 500
Millionen Menschen durchaus vergleichen. Es sei jedoch eingestanden,
daß die derzeitige chinesische Strategie, westliche Unternehmen aufzukaufen, um
an ihre Technologien zu kommen, und westliche Universitäten für hochwertigen
Qualifikationserwerb zu besuchen, hohe Ausmaße annehmen. Allerdings handelt es
sich dabei um ein Aufholen, das nur in den ersten Phasen sehr rasch vor sich
geht. Die wirklichen Hochtechnologien findet man in etablierten
Großunternehmen, die ihre Errungenschaften nicht preisgeben und nicht ohne
weiteres aufgekauft werden können. An den Universitäten wird nur Basiswissen
gelehrt; wer hochqualifiziert ist, wird lieber im Westen mit einem westlichen
Gehalt arbeiten, statt nach China zurückzugehen, das sehr viel weniger
Lebensqualität zu bieten hat. Es ist sehr schädlich für die chinesische
Entwicklung, daß der Westen ein Magnet für die wissenschaftliche Elite
darstellt. Um noch einen Vergleich anzubringen: die arabische Welt
hat seit langem enorme wirtschaftliche Vorteile, ohne die daraus gewonnenen
Mittel effektiv umzusetzen. Ein materieller Vorteil benötigt auch das Vermögen,
ihn gebrauchen zu können. Was die
Dritte Welt angeht, wird Chinas Einfluß wahrscheinlich wachsen: seine Flut von
Billigprodukten ist dort willkommen, da der Westen nur zu hohen Preisen
produzieren kann. Es bleibt abzuwarten, ob China diese Situation auch politisch
zu verwerten versteht.
Politisch-militärische Überlegenheit
Wirtschaftliche Macht muß sich, um
absolute Erfolge zu feiern, mit militärischer verbinden. Ein Land mit starkem
Militär hat es viel leichter, Wirtschaftspartner zu finden: die einen
versprechen sich Schutz, indem sie dem Beschützer wirtschaftliche Vorteile
versprechen, andere fühlen sich bedroht und sind zum selben Handeln bereit. Ziel einer Supermacht ist es, möglichst
viele abhängige Wirtschaftsmächte zu schaffen, die somit auch politisch zu
Satellitenstaaten werden. Ein etwas extremes Beispiel ist die amerikanische Irak-Politik. Hier aber muß gefragt werden: kann China
eine solche Politik betreiben, vielleicht auch nur in Asien? Dies hängt
einerseits von Indien ab[7], wenn
diesem Land ein vergleichbarer Aufstieg gelingt, entwickelt sich in Asien ein
bipolares Gleichgewicht, das für die Chinesen sehr hinderlich sein wird.
Sollten die USA ihre Stellung in der arabischen Welt behaupten, wird China
weiterhin nur langsam vorankommen, wie überhaupt sehr vieles von der Zukunft
der USA abhängt. Man darf auch gespannt sein, wie Rußland sich entwickelt!
Diese Zwei-Fronten-Lage Chinas ist sicher nicht günstig zu nennen...
Ein kurzer Blick auf das Militär: 150
Millionen Soldaten sind eine beeindruckende Zahl, effektiv aber können sie
nicht sein: Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung sind weit entfernt vom
westlichen Niveau. Es ist eine Lehre der Militärgeschichte, daß nicht die
Anzahl, sondern die Qualität eines Heeres den Sieg entscheidet. China hat sich
im Koreakrieg, gegen die Sowjetunion und gegen Vietnam schlecht bewährt, trotz zahlenmäßiger
Überlegenheit. Das Problem mit der Zahl 150 Millionen ist wiederum die
kurzsichtige Gleichsetzung mit westlichen Verhältnissen.
Zu einem bewaffneten Konflikt mit dem
Westen wird es ohnehin nicht kommen: riesige Atomarsenale haben sich in der Geschichte
als Friedensgaranten erwiesen und werden es auch bleiben. Abschließend bleibt zu sagen,
daß die chinesische Kultur keine Aussichten auf Verbreitung und somit auf
tiefere Beeinflußung unserer Welt besitzt. Die chinesische
Wirtschaftsentwicklung verläuft viel langsamer, als angenommen. Es gibt viele
Faktoren, die bremsend wirken; einige werden wegfallen, so etwa das westliche
wirtschaftliche Übergewicht in Dritte-Welt-Ländern, andere werden in Form neuer
asiatischer Mächte (Indien, Rußland) dazukommen. China wird sicher einmal eine
bedeutendere Rolle in der Welt einnehmen, zu einem geraden, einfachen und
baldigen Weg zur Supermacht wird es aber nicht reichen.[8] Grund zu
maßloser Besorgnis besteht sicher nicht: Das bessere Lebens- und Weltprinzip
ist derzeit auf unserer Seite, denn nicht wir müssen die Chinesen imitieren,
sondern sie den Westen.
Empfohlene Zitierweise:
Weber, Albert: China, die kommende Weltmacht?, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=62&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Weber, Albert
Geb.: 25.07.1984
studiert Mag.: NNG., G. O.-/S.-Europas, Rumänisch seit WiSe 04/05