Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Weber, Albert

 
 

China, die kommende Weltmacht?

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Die weltbeherrschende Bildungskultur stammt aus den USA; die Elite der Welt bildet sich in amerikanischen Universitäten und nicht in chinesischen. Wie viele Nobelpreise gehen nach China? Entwickeln die Chinesen eigene Technologien oder kaufen sie diese ein? Wie beispielhaft die Raumfahrt dafür ist: der erste Ein-Mann-Flug wurde von SU und USA vor 45 Jahren unternommen, von China erst kürzlich, denn Raumfahrtechnologie läßt sich nicht einkaufen und eigene technische Innovationen sind zu rar und zu lange unterwegs.

Die Entwicklung läuft eher gegen die Chinesen: durch die immer weiter ausgebauten Massenmedien nehmen sie unsere Kultur auf, was in ihrer Gesellschaft bereits zu schweren Konflikten geführt hat und noch führen wird: unsere Individualität wird als gesellschaftlicher Sprengstoff gewertet und seine Verbreitung möglichst eingedämmt. Sollten die Chinesen einmal von westlichen Idealen erfüllt sein, werden sie auch westliche Ansprüche stellen.

 

  Wirtschaftliche Macht

Geld ist die Quelle aller Kultur, Geld ist aber auch Macht: nicht zufällig ist das geldreichste Land der Welt auch das mächtigste. Daher die sich aufdrängende Frage, ob Chinas vermeintliche und auffälligste Stärke, nämlich sein Menschenreichtum, irgendwie beneidenswert ist?
Enorme Bevölkerungszahlen bringen die Prinzipien der dezentralen mit jenen der zentralen Regierung in Konflikt: mehr Menschen, weniger Kontrolle, weniger Ordnung. Die Lösung kann in einem partikularistischen Auseinanderstreben und somit in einem gewissen Chaos bestehen, wie mancherorts in Indien, oder in einer Diktatur, wie der chinesische Staat sie aufgebaut hat.[6] Es gibt Gegenden in China, wo ein enormer Überschuß an Arbeitskräften besteht, die aber nicht effektiv in die Wirtschaft eingebunden werden können (daher, so wird angenommen, jene achtstelligen Arbeitslosenzahlen), die gleichwohl aber versorgt werden müssen. Die westlichen Urteile über China faszinieren sich oder erschaudern an den immensen quantitativen Dimensionen chinesischer Wirtschaftsprogramme und übersehen dabei die ebenso quantitativen Probleme, die dahinter stehen.
Es wird viel geredet und geklagt über unsere europäische Bevölkerungsentwicklung; sie ist bestimmt nicht günstig zu nennen, die chinesische indes auch nicht: die Ein-Kind-Familie ist staatlich subventioniert wegen der Feststellung, daß eine Bevölkerungsabnahme auf ca. 700 Millionen den Lebensstandard verdoppeln könnte. Die Folge ist ein Überschuß männlichen Nachwuchses, da Frauen eine geringere gesellschaftliche Stellung einnehmen und daher weniger Aussicht auf ein Zur-Welt-Kommen erhalten.
Bedenkt man diese chinesische Demographieentwicklung, so kann sich der europäische Wirtschaftsraum (der gleichfalls seine Wachstumsgrenze noch nicht erreicht hat) mit seinen ca. 500 Millionen Menschen durchaus vergleichen.
Es sei jedoch eingestanden, daß die derzeitige chinesische Strategie, westliche Unternehmen aufzukaufen, um an ihre Technologien zu kommen, und westliche Universitäten für hochwertigen Qualifikationserwerb zu besuchen, hohe Ausmaße annehmen. Allerdings handelt es sich dabei um ein Aufholen, das nur in den ersten Phasen sehr rasch vor sich geht. Die wirklichen Hochtechnologien findet man in etablierten Großunternehmen, die ihre Errungenschaften nicht preisgeben und nicht ohne weiteres aufgekauft werden können. An den Universitäten wird nur Basiswissen gelehrt; wer hochqualifiziert ist, wird lieber im Westen mit einem westlichen Gehalt arbeiten, statt nach China zurückzugehen, das sehr viel weniger Lebensqualität zu bieten hat. Es ist sehr schädlich für die chinesische Entwicklung, daß der Westen ein Magnet für die wissenschaftliche Elite darstellt.
Um noch einen Vergleich anzubringen: die arabische Welt hat seit langem enorme wirtschaftliche Vorteile, ohne die daraus gewonnenen Mittel effektiv umzusetzen. Ein materieller Vorteil benötigt auch das Vermögen, ihn gebrauchen zu können.
Was die Dritte Welt angeht, wird Chinas Einfluß wahrscheinlich wachsen: seine Flut von Billigprodukten ist dort willkommen, da der Westen nur zu hohen Preisen produzieren kann. Es bleibt abzuwarten, ob China diese Situation auch politisch zu verwerten versteht.

 

  Politisch-militärische Überlegenheit

Wirtschaftliche Macht muß sich, um absolute Erfolge zu feiern, mit militärischer verbinden. Ein Land mit starkem Militär hat es viel leichter, Wirtschaftspartner zu finden: die einen versprechen sich Schutz, indem sie dem Beschützer wirtschaftliche Vorteile versprechen, andere fühlen sich bedroht und sind zum selben Handeln bereit.
Ziel einer Supermacht ist es, möglichst viele abhängige Wirtschaftsmächte zu schaffen, die somit auch politisch zu Satellitenstaaten werden. Ein etwas extremes Beispiel ist die amerikanische Irak-Politik.
Hier aber muß gefragt werden: kann China eine solche Politik betreiben, vielleicht auch nur in Asien? Dies hängt einerseits von Indien ab[7], wenn diesem Land ein vergleichbarer Aufstieg gelingt, entwickelt sich in Asien ein bipolares Gleichgewicht, das für die Chinesen sehr hinderlich sein wird. Sollten die USA ihre Stellung in der arabischen Welt behaupten, wird China weiterhin nur langsam vorankommen, wie überhaupt sehr vieles von der Zukunft der USA abhängt. Man darf auch gespannt sein, wie Rußland sich entwickelt! Diese Zwei-Fronten-Lage Chinas ist sicher nicht günstig zu nennen...

Ein kurzer Blick auf das Militär: 150 Millionen Soldaten sind eine beeindruckende Zahl, effektiv aber können sie nicht sein: Ausbildung, Ausrüstung und Versorgung sind weit entfernt vom westlichen Niveau. Es ist eine Lehre der Militärgeschichte, daß nicht die Anzahl, sondern die Qualität eines Heeres den Sieg entscheidet. China hat sich im Koreakrieg, gegen die Sowjetunion und gegen Vietnam schlecht bewährt, trotz zahlenmäßiger Überlegenheit. Das Problem mit der Zahl 150 Millionen ist wiederum die kurzsichtige Gleichsetzung mit westlichen Verhältnissen.

Zu einem bewaffneten Konflikt mit dem Westen wird es ohnehin nicht kommen: riesige Atomarsenale haben sich in der Geschichte als Friedensgaranten erwiesen und werden es auch bleiben.
Abschließend bleibt zu sagen, daß die chinesische Kultur keine Aussichten auf Verbreitung und somit auf tiefere Beeinflußung unserer Welt besitzt.
Die chinesische Wirtschaftsentwicklung verläuft viel langsamer, als angenommen. Es gibt viele Faktoren, die bremsend wirken; einige werden wegfallen, so etwa das westliche wirtschaftliche Übergewicht in Dritte-Welt-Ländern, andere werden in Form neuer asiatischer Mächte (Indien, Rußland) dazukommen.
China wird sicher einmal eine bedeutendere Rolle in der Welt einnehmen, zu einem geraden, einfachen und baldigen Weg zur Supermacht wird es aber nicht reichen.[8]
Grund zu maßloser Besorgnis besteht sicher nicht: Das bessere Lebens- und Weltprinzip ist derzeit auf unserer Seite, denn nicht wir müssen die Chinesen imitieren, sondern sie den Westen.

 

Fussnote(n):
[6] Rußland und Amerika haben ähnliche Probleme wegen ihrer enormen ethnischen und territorialen Vielfältigkeit. Die autokratischen Tendenzen ihrer Regierungen sind vielleicht so zu erklären. Daraus folgt, daß großflächige Staaten am besten zentral und mit autokratischer Orientierung regiert werden.
[7] Samuel P. Huntingtons These scheint sich immer mehr zu bewahrheiten: das 21. Jahrhundert ist von einem Kampf unterschiedlicher Kulturkreise geprägt. Die westliche Welt stößt derzeit mit der islamischen zusammen, was auf beiden Seiten zu einer zunehmenden Identitätsdifferenzierung führt (religiöse, zum Fundamentalismus entwicklungsfähige Besinnung ist auch hierzulande keine Rarität mehr). Es bleibt zu erwarten, daß sich andere Kulturräume durch Nachahmung diesem Kampf anschließen, so etwa der indische oder chinesische.
[8] Interessante Fragestellung: kann ein Land nur durch seine Wirtschaft eine Supermacht werden, oder gehören dazu kriegerische Konflikte? Die Sowjetunion war wirtschaftlich marode, militärisch aber gut gerüstet und siegreich. Die USA hingegen, wirtschaftlich, militärisch und politisch/ideologisch hochentwickelt, haben die Konfrontation mit der SU für sich entschieden.

 
Aktuelle Literatur Laurenz Awater: Die politische Wirtschaftsgeschichte der VR China: Vom Sowjetmodell zur sozialistischen Marktwirtschaft. Münster 1998.

Johnny Erling: China - Der große Sprung ins Ungewisse. 2002.

Weigui Fang, Das Internet und China - Digital sein, digitales Sein im Reich der Mitte. Hannover.

Lutz Geldsetzer, Hong Han-Ding: Grundlagen der Chinesischen Philosophie. 1998.

Jacques Gernet: Die chinesische Welt. Frankfurt/M.1988.

Sebastian Heilmann: Das politische System der Volksrepublik China. Wiesbaden 2002.

James Kynge: China. Aufstieg einer hungrigen Nation. Hamburg 2006.

Gregor Paul (Hrsg.), Caroline Y Robertson-Wensauer (Hrsg.): Traditionelle chinesische Kultur und Menschenrechtsfrage. 1997.

Karl H. Pilny: Das asiatische Jahrhundert. Hamburg 2005.

Charles Reeve, Xuanwu Xi, Die Hölle auf Erden: Bürokratie, Zwangsarbeit und Business in China. Hamburg 2001.
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Weber, Albert: China, die kommende Weltmacht?, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=62&subid=49
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Weber, Albert

Geb.: 25.07.1984
studiert Mag.: NNG., G. O.-/S.-Europas, Rumänisch seit WiSe 04/05

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