Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Kröss, Katja

 
 

Vitellius, unfähiger Politiker und Tyrann? Eine quellenkritische Untersuchung.

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  Aulus Vitellius (12 oder 15 - 69 n. Chr.), der dritte Kaiser des so genannten Vierkaiserjahres 69 n. Chr., kommt in der antiken Geschichtsschreibung fast ausnahmslos schlecht weg. Um dies zu verdeutlichen, sei hier ein Ausschnitt aus Sueton (Vit. 13f.) angeführt:  

 
Ganz besonders stand ihm der Sinn nach Genußsucht und Grausamkeit. Immer nahm er drei Mahlzeiten, manchmal auch vier über den Tag verteilt zu sich: Frühstück, Mittagessen, Abendessen und ein Gelage; es war für ihn ein Leichtes, sich allen Essen hinzugeben, da er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, ein Brechmittel einzunehmen. [...] Er stopfte sich nicht nur unablässig, sondern auch zu undenklichen Zeiten voll, damit ekelte er jeden an; nicht einmal beim Opfer oder auf einer Reise beherrschte er sich, nicht auch noch vor den Altären gleich die Eingeweide und Stücke des Opferkuchens aus dem Feuer zu holen und in sich hineinzustopfen und in den Garküchen an den Landstraßen Gerichte zu verschlingen, die noch dampften oder vom Vortag übriggeblieben und schon halb aufgegessen waren. Ja, er neigte dazu, jeden Beliebigen aus jedem beliebigen Grund töten und foltern zu lassen. [...] Er geriet auch beim Tode seiner Mutter unter Verdacht...
 
    Sueton (Vit. 13f.)  

  So übertrieben ist diese wie auch andere Schilderungen des Vitellius, dass sich einem die Frage stellt, was denn tatsächlich dahinter steckt. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, die Laufbahn dieses Kaisers in groben Zügen zu rekonstruieren, indem der Blick auch auf die Stellen in den Quellen gelenkt wird, die nebensächlich erscheinen und deswegen häufig vom Haupttenor ("Vitellius der Tyrann") überstimmt werden. Da eine ausführliche Darstellung im Rahmen dieses Artikels unmöglich ist, sei an dieser Stelle auf B. Richters sehr gute Dissertation Vitellius. Ein Zerrbild der Geschichtsschreibung. Untersuchungen zum Prinzipat des A. Vitellius verwiesen.  

  Vitellius' Vater Lucius überlebte ganze drei Kaiser, nämlich Tiberius, Caligula und Claudius, weitgehend unbeschadet und in hohen Ehren: ein nicht geringes Kunststück zu jener Zeit, das von hohem diplomatischen Geschick und guten freundschaftlichen Verbindungen zu anderen Senatoren zeugt. Sicherlich konnte dies seinem Filius eine politische Laufbahn erleichtern, war jedoch nicht, wie etwa von Tacitus (Hist. I 34,4) behauptet, der einzige Grund: Aulus verfügte durchaus auch über eigene Fähigkeiten, wie ihm die antiken Autoren zumindest im Falle seines afrikanischen Prokonsulats (60/ 61 n. Chr.) zugestehen mussten. So war es nicht ganz abwegig, dass Galba Vitellius im Dezember des Jahres 68 n. Chr. zum Statthalter von Germania inferior bestellte. Dort war der alte Kaiser denkbar unpopulär, und als Vitellius am 1. Dezember 68 n. Chr. in Niedergermanien eintraf, glich die Stimmung einem brodelnden Suppenkessel. Dass er sofort unbeliebte Entscheidungen Galbas zurücknahm oder milderte - Maßnahmen, die, wie selbst Tacitus (I 52,1) etwas widerwillig zugibt, "manchmal nach vernünftigem Urteil" geschahen -, muss nicht unbedingt als Kompetenzüberschreitung und Grundsteinlegung für die spätere Machtergreifung gewertet werden, sondern kann durchaus als taktisch kluger Schachzug zur Beruhigung der Lage gelten. Doch sei es wie es sei, seiner Beliebtheit war es in jedem Falle zuträglich, und als am 1. Januar des Jahres 69 n. Chr. die übliche Eiderneuerung auf den Princeps in Obergermanien verweigert wurde, war Vitellius der Kandidat, der sich als neuer Imperator anbot. Welche Rolle er für die darauf folgende Akklamation am 2. Januar spielte, ist ungewiss. Während Plutarch und Sueton ihn als willfährige Puppe der germanischen Offiziere darstellen, sieht Tacitus ihn durchaus aktiv involviert. Fest steht jedenfalls, dass Vitellius auch hier politisches Fingerspitzengefühl bewies. Um den Senat als rechtliche Legitimationsinstanz nicht vor den Kopf zu stoßen, dennoch aber seinen Herrschaftsanspruch zu behaupten, lehnte er die ihm angetragenen Beinamen "Augustus" und "Caesar" ab und nahm lediglich den des "Germanicus Imperator", eines Prätendanten des germanischen Heeres, nicht aber des gesamten Reiches, an. Erst nach seinem Eintreffen in Rom und der Legalisierung seiner Position durch den Senat sollte er die Beinamen umdrehen und zum "Imperator Germanicus" werden.  

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