Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Schmid, Matthias

 
 

Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen His-toriographie des Hochmittelalters

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3.7 Weltliche Kausalitäten und realpolitische Betrachtungen

Das Gegenstück zur spiritualistischen Überhöhung des religiösen Elements ist in einer stärkeren pragmatischen Zuwendung zu einer eher säkularen Betrachtung der Geschichte zu finden, die auch den weltlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung jenseits des direkten Eingriffs eines personalen Gottes heranzieht. So setzt Wilhelm von Tyrus beispielsweise bei der Bestimmung der Gründe für die Übermacht der Feinde neben die „prima […] causa“ der vorübergehenden Abkehr Gottes zwei weltliche Gründe für das Scheitern gegen die muslimischen Feinde.[31] An einer weiteren Stelle wird die fast schon machiavellistische Überlegung angestellt, ob man aus taktischen Gründen nicht den minderjährigen Sohn Nûraddîns unterstützen sollte, um Saladin zu schwächen.[32] Somit wird der Sultan und Führer des Sarazenenheeres Saladin in dieser realistischen Sichtweise des Feindes (ohne Scheu, auch aus rein taktischen Gründen Koalitionen mit anderen muslimischen Herrschern einzugehen) zu einem Objekt in einem Spiel weltlicher Machtpolitik. [33]
 

 

4. Schluss

Wie sich hier in der Analyse verschiedener Figuren im Verhältnis Feindbild – Geschichtsbild bei drei ausgewählten Quellen gezeigt hat, kann das mittelalterliche Geschichtsbild nicht als einheitlich gedacht werden, vielmehr handelt es sich um einen gemeinsamen Fundus an teils auch widersprüchlichen religiösen und theologischen Chiffren. Ob bei der Darstellung historischer Ereignisse das fortuna-Motiv, das des unmittelbar in die irdische Sphäre eingreifenden personalen Gottes, das mittelbare Einwirken göttlichen Willens über adlige Erlösungsgestalten, das des sich bis zum erlösenden Endpunkt steigernden Kampfes Gut gegen Böse oder eine säkulare Erklärung im Vordergrund steht: Neben spezifischen Funktionen wie z.B. Delegitimierung oder politischer Pragmatik hat die Einordnung des Feindes in das Geschichtsbild die Aufgabe der Vergewisserung einer kollektiven Identität über einen zumindest oberflächlich übergreifenden gemeinsamen gedanklichen Kosmos der Weltdeutung. Das durchaus diffuse Geschichtsbild des Hochmittelalters wies zwei gegenläufige Tendenzen auf: Das explanative Monopol der christlichen Heilsgeschichte wurde bei den einen zugunsten der Erklärung durch säkulare, realpolitische Kausalitäten allmählich abgeschwächt, bei den anderen wurde es zur radikalen Apokalyptik übersteigert.
 

Fussnote(n):
[31] Vgl. WvT, XXI, 7, S. 969–971. Als zweiten Grund nennt er die militärische Erschlaffung durch den langen Frieden; als dritten das Vorhandensein einander entgegengesetzter Ziele bei den christlichen Fürsten in den Kreuzfahrerstaaten.
[32] Vgl. ebenda, XXI, 6, S. 969.
[33] Zum politischen Pragmatismus bei Wilhelm von Tyrus vgl. Hannes Möhring: Heiliger Krieg und politische Pragmatik: Salahadinus Tyrannus, in: Deutsches Archiv 39 (1993), S. 417-466.

 
Empfohlene Literatur

HARTMANN, Johannes: Die Persönlichkeit des Sultans Saladin im Urteil der abendländischen Quellen (=Historische Studien, Bd. 239), Berlin 1933

JUBB, Margaret: The Legend of Saladin in Western Literature and Historiography, Lewinston u.a. 2000

MÖHRING, Hannes: Saladin. Der Sultan und seine Zeit: 1138–1193 (= Beck’sche Reihe, Bd. 2386), München 2005

SPÖRL, Johannes: Wandel des Welt- und Geschichtsbildes im 12. Jahrhundert? Zur Kennzeichnung der hochmittelalterlichen Historiographie, in: Walther Lammes (Hrsg.): Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze und Arbeiten aus den Jahren 1933–1959 (= Wege der Forschung, Bd. 21), Darmstadt 1965, S. 278–297

WIECZOREK, Alfred (Hrsg.): Saladin und die Kreuzfahrer [Begleitband zur Sonderausstellung “Saladin und die Kreuzfahrer” im Landesmuseum Halle (Saale), im Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg und in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim] (= Publikationen der Reiss-Engelhorn-Museen, Bd. 17; Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg, Bd. 37), Mainz 2005
 

 
Empfohlene Zitierweise:

Schmid, Matthias: Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen His-toriographie des Hochmittelalters, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=59&subid=49
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Schmid, Matthias

19.09.1984
studiert Mag. PW, NNG, Phil. seit WiSe 04/05

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