3.7 Weltliche Kausalitäten und
realpolitische Betrachtungen
Das Gegenstück zur spiritualistischen Überhöhung des religiösen Elements
ist in einer stärkeren pragmatischen Zuwendung zu einer eher säkularen
Betrachtung der Geschichte zu finden, die auch den weltlichen Zusammenhang von
Ursache und Wirkung jenseits des direkten Eingriffs eines personalen Gottes
heranzieht. So setzt Wilhelm von Tyrus beispielsweise bei der Bestimmung der
Gründe für die Übermacht der Feinde neben die „prima […] causa“ der vorübergehenden
Abkehr Gottes zwei weltliche Gründe für das Scheitern gegen die muslimischen
Feinde.[31] An einer weiteren Stelle wird die fast schon machiavellistische
Überlegung angestellt, ob man aus taktischen Gründen nicht den minderjährigen Sohn
Nûraddîns unterstützen sollte, um Saladin zu schwächen.[32] Somit wird der Sultan
und Führer des Sarazenenheeres Saladin in dieser realistischen Sichtweise des
Feindes (ohne Scheu, auch aus rein taktischen Gründen Koalitionen mit anderen
muslimischen Herrschern einzugehen) zu einem Objekt in einem Spiel weltlicher
Machtpolitik. [33]
4. Schluss
Wie sich hier in der Analyse verschiedener Figuren im Verhältnis
Feindbild – Geschichtsbild bei drei ausgewählten Quellen gezeigt hat, kann das
mittelalterliche Geschichtsbild nicht als einheitlich gedacht werden, vielmehr
handelt es sich um einen gemeinsamen Fundus an teils auch widersprüchlichen
religiösen und theologischen Chiffren. Ob bei der Darstellung historischer
Ereignisse das fortuna-Motiv, das des
unmittelbar in die irdische Sphäre eingreifenden personalen Gottes, das
mittelbare Einwirken göttlichen Willens über adlige Erlösungsgestalten, das des
sich bis zum erlösenden Endpunkt steigernden Kampfes Gut gegen Böse oder eine
säkulare Erklärung im Vordergrund steht: Neben spezifischen Funktionen wie z.B.
Delegitimierung oder politischer Pragmatik hat die Einordnung des Feindes in
das Geschichtsbild die Aufgabe der Vergewisserung einer kollektiven Identität
über einen zumindest oberflächlich übergreifenden gemeinsamen gedanklichen Kosmos
der Weltdeutung. Das durchaus diffuse Geschichtsbild des Hochmittelalters wies
zwei gegenläufige Tendenzen auf: Das explanative Monopol der christlichen
Heilsgeschichte wurde bei den einen zugunsten der Erklärung durch säkulare,
realpolitische Kausalitäten allmählich abgeschwächt, bei den anderen wurde es
zur radikalen Apokalyptik übersteigert.
Empfohlene Zitierweise:
Schmid, Matthias: Feindbild und Geschichtsbild. Zur Darstellung des Sultans Saladin in der lateinischen His-toriographie des Hochmittelalters, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=59&subid=49 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Schmid, Matthias
19.09.1984
studiert Mag. PW, NNG, Phil. seit WiSe 04/05