Somit war an seinem Punkt der Geschichte die Stadt Thysdrus zum Zentrum der hohen Politik geworden, das aber war auch der Beginn des langsamen Niedergangs der Stadt. Es bleibt uns nur die Frage, wie sich ihre Geschicke in der späteren Zeit entwickelt haben; zunächst aber ist kurz nach etwaigen Spuren des Christentums in dieser Stadt zu suchen. In Nordafrika liegt der Beginn des lateinischen Christentum: Aus Afrika stammt die erste Schrift christlichen Inhalts in lateinischer Sprache, die Acta der Martyrer von Scili von 180, aus Afrika kommen die großen lateinischen Kirchenväter wie Tertullian, Cyprian, Arnobius und Augustinus. Unter diesen Umständen ist es verwunderlich, dass von einer christlichen Gemeinde in Thysdrus nur sehr wenig bekannt ist. Einige wenige christliche Inschriften aus der Stadt sind erhalten.[46] Bedeutsamer ist die Nachricht des Tertullian[47], derzufolge um die Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert auch in Thysdrus Prozesse gegen Christen stattgefunden haben: Das bedeutet nicht nur, dass Thysdrus ein Gerichtsort war, sondern dem auch, dass es hier eine Christengemeinde gegeben haben muss. Für das Jahr 393 wird ein katholischer Bischof erwähnt. Aber in der Notitia provinciarum et civitatum Africae zum Jahre 494 fehlt eine Angabe eines Bischofs der Stadt[48], im ausgehenden 5. Jh. scheint sie keinen oder zumindest keinen bedeutenden Bischof gehabt zu haben. Für das Jahr 649 wird allerdings wieder ein Bischof genannt. Mehr aber können wir zu dem Thema "Christen in Thysdrus" nicht in Erfahrung bringen.
7. Die drei Amphitheater in Thysdrus
So manche Städte des Imperiums besaßen mehr als ein Amphitheater, doch erhalten sind diese nicht; selbst in der Hauptstadt Rom - dort "gab es 2 große und 4 kleine Amphiteater" [49] - ist nur das eine Amphitheater erhalten, das wir unter dem Namen Kolosseum kennen. Einzig in El Djem finden sich die Spuren von drei Amphitheatern, jedes aus einer anderen Epoche. Das erste ist in den Fels hineingehauen, nützt also die natürliche Unebenheit des Geländes aus. Es dürfte aus der Zeit der Republik, allenfalls noch aus der Zeit des Augustus stammen und ist, wie sehr schön gesagt wurde, "ein völlig unentwickeltes Exemplar, das mal als erstes Stammeln der Architektur der Amphitheater bezeichnen könnte".[50]
Das zweite Amphitheater ist eine Verbesserung und Vergrößerung des ersten, es ist an derselben Stelle wie dieses angelegt, gewissermaßen darübergestülpt. Dieses zweite konnte etwa 7000 Zuschauer fassen: Mit dieser Größe konnten und wollten sich die Dekurionen des 3. Jahrhunderts nicht mehr zufrieden geben. So begann man mit dem Bau eines neuen Amphitheaters: Da dieses das römische Kolosseum nachahmte, musste es an einer anderen Stelle als die beiden ersten errichtet werden, und zwar auf ebenem Boden (es sollte nicht das Gelände ausnützen, sondern in vier Stockwerken in die Höhe gebaut werden). Über dem Baubeginn können wir nur Mutmaßungen anstellen. Entweder stand das Amphitheater im Jahre 238 schon fertig da, [51] oder aber der Baubeginn ist in die Jahre 238-240 anzusetzen: In diesem Falle wäre der Bau auch eine Trotzreaktion der Stadtväter angesichts der Ereignisse des Jahres 238 in Thysdrus und somit ein offener Affront gegen Rom.[52] Die Längsachse dieses Amphitheaters beträgt 148 Meter, die Querachse 122 Meter (das Kolosseum 188 mal 155 m), die Höhe beträgt 36 Meter in vier Stockwerken (in Rom 45,5 m in ebenfalls vier Stockwerken), das Amphitheater fasste rund 30.000 bis 35.000 Zuschauer. [53] Der Bau ist ziemlich sicher der zeitlich letzte eines römischen Amphitheaters überhaupt; so konnten sich die Architekten alle bisherigen Erfahrungen zu Nutze machen. Beispielweise ist der "Keller" organisch eingefügt, die dortigen Räume, Zimmer und Zellen waren von Anfang an im Bauplan enthalten. Das Amphitheater von Thysdrus-El Djem ist zweifellos eines der grandiosesten seiner Art, größer und beeindruckender als die von Nîmes, Arles oder Verona. Allein, rein künstlerisch sind die Mosaiken aus Thysdrus wesentlich wertvoller (ausgestellt im Archäologischen Museum der Stadt El Djem, die schönsten Exemplare aber sind im Bardo-Museum in Tunis, der reichsten Sammlung römischer Mosaike auf der ganzen Welt). Wenn aber die Vermutung eines Baubeginns nach 238 zutrifft - und dafür spricht einiges -, so würde dies zeigen, dass die Stadt auch nach 238 noch außerordentlich reich war. Erst im Laufe des 4. Jahrhunderts liefen ihr andere Städte den Rang ab, der Niedergang begann. Spätestens seit dem 6. Jahrhundert ist Thysdrus nichts anderes mehr als ein Provinznest - das erst in unserer Zeit an Einwohnern wieder zunahm. Die UNESCO aber anerkannte das Amphitheater als "Kulturerbe der Menschheit" (was nicht zuletzt finanzielle Vorteile für die Stadt El Djem mit sich bringt).
Empfohlene Zitierweise:
Blum, Wilhelm: Thysdrus (El Djem): Aufstieg und Fall einer Provinzstadt in Afrika , in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06], www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=1&id=9&subid=2 [Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]
Blum, Wilhelm
Dr. phil., Jahrgang 1943, hat Klassische Philologie, Geschichte und Philosophie studiert. Anschließend war er tätig in der Erwachsenenbildung, an der Universität und an Gymnasien. Derzeit ist er Lehrer am Maximiliansgymnasium in München. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Aufsätze zu verschiedenen Themen der Geistesgeschichte.