Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07)
 

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf

 
 

Zwei Wappenprogramme des Alten Hofes
oder: vom Feminismus des 15. zum Posthistorismus des 20. Jahrhunderts

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  Betrachtet man das "Wappenprogramm" des Turmes in seiner Gesamtheit, so zeigt es sich als ein Versuch der Nachkriegszeit, ein Wappenprogramm für die wiederhergestellten Blendnischen zu erfinden, möglicherweise da man in Anlehnung an Quaglio glaubte, sie wären auch ursprünglich dazu gedacht gewesen. Das Programm scheint gewesen zu sein, nach außen hin an die Familie Wittelsbach und ihre genealogischen Verbindungen im Allgemeinen zu erinnern, nach innen aber an den berühmtesten Bewohner, Kaiser Ludwig IV. Die Gestaltung der Wappen ist dabei fast durchgehend modern, sie lässt dort den Einfluß Otto Hupps und der Kunstströmungen des frühen 20. Jahrhunderts spüren, wo Quaglio seine Andeutungen noch im besten historistischsten Sinne ausführte. Vor allem die "Stammbäume" sind in ihrer Gestaltung durch und durch modernistisch zu nennen. Lediglich beim Adlerwappen auf der Hofseite hat man sich wohl um ältere Vorbilder bemüht. [53] Ebenfalls modern ist auch die offenkundige Nachlässigkeit in Entwurf und Ausführung. Die Fehler, die man hier machte, wären im in dieser Hinsicht manischen Historismus so wohl nicht passiert. Man hat also eine Ergänzung im schlimmsten Sinne vor sich, die weder versucht, einen vergangenen Eindruck wiederzuerwecken, noch durch eigenen Inhalt und eigenen Witz unwiederbringlich verlorenes adäquat zu ersetzen. Stattdessen wurden - bar jeder inneren Logik - Wappen von mehreren Generationen des Hauses Wittelsbach zum Schmuck eines Turmes ausgewählt, der erst nach ihnen erbaut worden ist.  

  Conclusio
Die im Zuge der Rekonstruktion 1956ff. entstandenen Wappendarstellungen am Torturm mögen ihrerseits ehemals vorhandene Darstellungen ersetzen, sie tun dies aber ohne jedes Empfindungsvermögen für Wappenprogramme im Allgemeinen und Wappen der Erbauungszeit im Speziellen. Wo man sich im Zeitalter des Historismus wenigstens noch darum bemühte einen annähernden Eindruck wie aus der Entstehungszeit zu rekreiren, [54] setzte man hier ein Zeichen, das seine Entstehungszeit geradezu trotzig hinausschreit, so daß man den heutigen Sehgewohnheiten geradezu dankbar sein muß, die Wappen und ähnliche Details zugunsten des Gesamteindruckes ausblenden.
Dagegen bietet der Erker immerhin noch acht weitgehend originale Wappenfelder, die immerhin zulassen, eines der interessantesten Wappenprogramme Bayerns bis zu einem gewissen Grade zu rekonstruieren und so die (Kultur-)Geschichte der Wittelsbacher im 15. Jahrhundert um eine weitere, reizvolle Facette zu erweitern.
Anzuregen bliebe, bei einer der nächsten Restaurierungen darüber nachzudenken, ob man die unsensiblen Ergänzungen der Nachkriegszeit, so etwa das bayerische Staatswappen am Erker, nicht durch passendere Darstellungen ergänzt. Sowohl für die Turmnischen als auch für die jetzt unbemalten oder falsch bemalten ließen sich akzeptablere Programme entwickeln und geschmacksneutraler ausführen. Ergänzungen einer späteren Zeit sollten nicht immer schreiend auf sich aufmerksam machen, sie könnten sich ja auch sehr gut einmal bescheidener vor der Geschichte benehmen.
Man kann diese Ergänzungen der Nachkriegszeit aber auch genauso gut am Platz belassen, wo sie auch weiter vom Geist ihrer Zeit künden mögen. Der Erker zwischen Himmel und Erde ist etwa durch das bayerische Staatswappen um eine feine Ironie reicher; so wie die Ansprüche, die Ludwig der Bayer mit seiner Heiratspolitik erworben hatte, zur Entstehungszeit des Erkers bereits Makulatur geworden waren, so mag sich der Freistaat Bayern mit seinen Ansprüchen ruhig dazu gesellen. Nach den Regeln der Heraldik werden so die einen Teil vom anderen. Ein Schelm, wer bei Brandenburg und Reichswappen, bei Mailand und Görz und den Niederlanden [55] an Ansprüche moderner bayerischer Politik denkt!
 

Fussnote(n):
[53] So könnte etwa die bemalte Holzdecke des ehem. Herzoghofs in Regensburg als Vorbild gedient haben, die in den Jahren 1936-1940 aufgedeckt und restauriert worden war. Abbildung bei Glaser, Beiträge (1980), Abbildung 46.
[54] Wobei man durchaus über das Ergebnis schaudern darf.
[55] Die Grafschaft Holland als pars pro toto und die heutigen Niederlanden dito, so daß wir auch sehr schnell bei Brüssel sind.

 
Literatur Bauer, Reinhard: Münchens Altstadt. München (DasStadtteilbuch), 1994.

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Empfohlene Zitierweise:

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf: Zwei Wappenprogramme des Alten Hofes oder: vom Feminismus des 15. zum Posthistorismus des 20. Jahrhunderts, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 03 - Wintersemester 06/07],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=3&id=69&subid=49
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Röhrer-Ertl, Friedrich Ulf

geboren 11.07.1977

1998-2005 Studium Geschichtliche Hilfswissenschaften, Geschichte der Frühen Neuzeit und Mittelhochdeutsch an der LMU München.

2005 M.A. Thema der Arbeit: Die Grabkapelle Urbans von Trenbach am ehemaligen Domkreuzgang zu Passau: Betrachtungen zum geistigen Milieu eines süddeutschen Kirchenfürsten der Renaissance.

Seit Juli 2005 laufendes Dissertationsprojekt bei Prof. Dr. Walter Koch, LMU München:
http://www.geschichte.uni-muenchen.de/ghw/personen_roehrer_ertl.shtml

Januar 2006 Fortbildung zum Wissenschaftlichen Dokumentar am Historischen Archiv des Bayerischen Rundfunks
(http://www.br-online.de/br-intern/geschichte/)

Forschungsschwerpunkte Epigraphik, Heraldik, Symbologie, Thanatologie.

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