Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 01 - Wintersemester 05/06)
 

Blum, Wilhelm

 
 

Thysdrus (El Djem): Aufstieg und Fall einer Provinzstadt in Afrika [*]

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2. Aufstieg der Stadt

 
  Die erste literarische Erwähnung von Thysdrus finden wir also im "Bellum Africanum", danach versiegen die literarischen Quellen fast völlig. Bis hin zum Epochenjahr 238. So sind wir - allerdings mit zwei Ausnahmen - angewiesen auf die Interpretation einiger Inschriften sowie auf Zeugnisse benachbarter Städte, waren doch die Probleme der Städte Nordafrikas wie des gesamten Imperiums überall so ziemlich die selben. Und dass die gesamte Kultur und Zivilisation der römischen Kaiserzeit eine städtische war, ist allgemein bekannt. [10]  

  Die früheste Nachricht, die wir direkt aus der Stadt erhalten haben, stammt aus der Zeit des Kaisers Augustus: In einer Inschrift [11] weiht sich der Augur M. Gavius Tetricus der Göttin Luna und er nennt sich ein Mitglied des Tribus Galeria. Da dieser Tribus Galeria in Afrika höchst selten, in Gallien hingegen und besonders in Spanien sehr häufig nachzuweisen ist, dürfen wir annehmen, dass Kaiser Augustus im Zuge seiner Romanisierungspolitik einige römische Veteranen in Thysdrus angesiedelt hat. Dafür spricht besonders die Funktion des M. Gavius als Augur, also als städtischer Priester. [12] So wuchs die Stadt Thysdrus im Laufe des 1. Jahrhunderts und nahm an Bedeutung zu. In der Zeit der flavischen Kaiser konnte sie es sogar schon wagen, in einen länger dauernden Rechtsstreit mit der Nachbarstadt Hadrumentum (etwa 55 km nördlich, direkt am Meer gelegen) einzutreten: Wir erfahren nämlich aus einer Notiz bei Frontin [13], dass Thysdrus längere Zeit schon mit der sehr viel größeren und stärkeren Stadt am Meere um den Standort eines Minervatempels stritt. Über den Ausgang dieser Auseinandersetzung wissen wir nichts, wohl aber ist dieser Streit Beweis für mehrere Fakten:
  • eine beachtliche Prosperität der Stadt,
  • ein schon existierendes Straßennetz in Nordafrika: Der Tempel sollte zweifellos direkt an der Straße errichtet werden, nur so konnte man auf Besucher und damit Einkünfte rechnen,
  • ein großes Selbstvertrauen der Stadtväter.
 

 

3. Der Reichtum der Stadt

 
  Zu einem solchen Selbstvertrauen hatten die Stadtherren wahrlich auch allen Grund, war ihre Stadt doch im Laufe der ersten beiden Jahrhunderte zu einer der reichsten von Nordafrika geworden. Die Grundlage dieses Reichtums war neben dem Getreideanbau hauptsächlich das Öl, genauer: der Besitz und die Organisation der größten Ölbaumplantagen [14] des imperium romanum. Öl war in der römischen Zeit einer der wichtigsten Artikel des täglichen Lebens, man brauchte es in der Hauptsache in folgenden vier Bereichen:
  • zur Beleuchtung: Es wurde in die Lampen gegossen (die bekannten Öllämpchen), wobei das Öl nicht von allerbester Qualität sein musste; [15]
  • zur Körperreinigung (z.B. vor und auch nach dem Bad in den Thermen) und ganz allgemein zur Körperpflege, war doch das Öl der Grundbestandteil des Parfums und aller parfümierten Salben; [16]
  • als Medizin im weitesten Sinne;
  • als eines der Grundnahrungsmittel (neben Wein, Salz, Käse und Brot), wie eine Vielzahl von Nachweisen zeigt [17]

So ist es nur allzu verständlich, dass eine Stadt mit Ölbaumplantagen, also mit Plantagenbesitzern und Plantagenpächtern sowie mit vielen Arbeitern, Bauern und Sklaven reich werden musste, da sich ihre Produkte allenthalben verkaufen ließen. [18]
Ganz abgesehen davon hatten Roms einflussreiche Kreise, ganz besonders die großen Politiker, schon frühzeitig begriffen, dass man mit Ölschenkungen - d.h. mit Ölkauf durch Staatsgelder und kostenloser Verteilung des Öls - das Volk gewinnen kann. So hören wir beispielsweise schon zum Jahre 213 v. Chr., dass Scipio, der spätere Sieger von Zama, der Plebs in Rom Öl auf Staatskosten schenken ließ. [19] Diese kostenlose Abgabe von Öl nun hat Kaiser Septimus Severus [20] erneut versprochen, und zwar auf "ewige Zeiten". Damit war der Reichtum der Stadt Thysdrus (sowie anderer Städte in Nordafrika) gewissermaßen von Staats wegen garantiert - jener Reichtum und Wohlstand, der schon lange vor der Regierung des Afrikaners Severus (193 - 211) existiert hatte. Aus verschiedenen Inschriften erfahren wir von den Wirtschaftsbeziehungen der Stadt, die weit über das gesamte Imperium hin ihre Produkte zu vertreiben wusste. In Thysdrus Geborene erreichen andern Orts hohe Staatsstellungen. [21] Wir erfahren von geregelter Wasserzufuhr für die Stadt Thysdrus [22], der Grundlage für alles Leben. Kurz: Im 2. Jahrhundert gehört Thysdrus zu den fünf bedeutenden Städten des römischen Nordafrika. Und was das Wichtigste ist: Thysdrus, das im 2. Jh. noch ein Municipium war, wird im Laufe des 3. Jh. zu einer Colonia [23]: Die Stadt hat also diesen Ehrentitel direkt vom Kaiser erhalten, ist mithin eine Titularkolonie [24].

 

Fussnote(n):
[10] Max Weber, zitiert bei Demandt, S. 399.
[11] CIL VIII 22844.
[12] Zu diesen Auguren vgl. Denamdt, S. 405.
[13] Die Schrift des Frontinus De agri mensura libri II ist "noch unter Domitian" (K. Sallmann, in: Der Neue Pauly IV 678), also noch im 1. Jahrhundert entstanden, sie ist uns heute verloren. Der fragliche Abschnitt ist nachzulesen in den Gromatici Latini, ed. Lachmann, p 87, 29 und lautet: Nam et aedibus sacris, quae constitutae sund in agris, mutata tantum persona similes tamen oriuntur quaestiones: sicut in Africa inter Tysdritanos de aede Mindervae, de quo iam multis annis litigant.
[14] Zu den riesigen Ölbaumplantagen in Nordafrika (und in der Gegend von Thysdrus) siehe auch: Junior, Exposito totius mundi et gentium 61.
[15] Vgl. Horaz, s.1, 6, 124.
[16] Vgl. besonders Lukrez 2, 847-853 und Synesios, ep 148.
[17] Z.B. Öl zum Anrichten von Salaten: Moretum 111ff.; Öl für Saucen: Horaz, s 2, 3, 124.
[18] Vgl. neben Stellen Bell. Afr. 97, 3; Statius, Silvae 4, 9 11; Aurelius Victor, Caes. 41, 19.
[19] Livius 25, 2 ,8.
[20] HA Sev. 18, 3: ... populo Romano diuturnum oleum gratuitum et fecundissimusm in aeternum donavit.
[21] Siehe z.B. Dessau ILS 502 aus dem Jahre 242, gefunden in Old Carlisle in Britanien, ILS 2169 (ein Thysdritaner in Rom) oder ILS 2911 (ein Thysdritaner in Arles).
[22] Dessau ILS 5777 = CIL VIII 51.
[23] Siehe neben anderen die letztgenannte (Anm. 4) Inschrift. Der ältere Plinius (Nat. 5, 4, 30) hatte schon im 1. Jh. Thysdrus zu den oppida libera gerechnet: Das bedeutet allerdings etwas völlig anderes als der Status einer Colonia im 3. Jh.
[24] Zu Thysdrus insgesamt ist zu vergleichen C. Lepelley, II, S. 318-322.

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