Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Schmid, Alois

 
 

Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

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Von den Agilolfingern zu den Welfen

 
 

Die Suche nach Königsgedanken in Bayern führt zurück zu den Anfängen der bayerischen Geschichte. Als erstes Herrschergeschlecht sind die Agilolfinger bezeugt. Sie nahmen den Rang von Herzögen ein; als solche (duces) werden sie in den ältesten und entscheidenden Quellen oftmals bezeugt. Nur ein Geschichtsschreiber dieser Frühzeit berichtet einen anderen Sachverhalt. Der wichtigste Historiograph der Langobarden Paulus Diaconus spricht in seiner "Historia Langobardorum", wenn auf das agilolfingische Bayern zu sprechen kommt, meistens von einem Königreich (regnum) und Königen (reges)[3]. Zur Erklärung dieser abweichenden Angaben bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Entweder Paulus Diaconus wertet in diesen Nebenbemerkungen ohne Absicht einfach aus nicht hinreichender Kenntnis infolge seiner räumlichen und zeitlichen Distanz das Herzogtum zum Königtum auf. Oder aber er spricht dem Nachbarland mit Absicht einen solchen königlichen Rang zu, um den eigenen Landesherrn nach ihren vielfachen Heiraten mit den bayerischen Agilolfingern eine möglichst ebenbürtige Verwandtschaft zu verschaffen. Vom machtvollen Herzog Tassilo III. (748-788) ausgehend, der sich mit dem eindrucksvollen Dombau zu Salzburg am Vorbild der fränkischen Merowinger orientierte und dessen Stiftung Frauenchiemsee sich mit Vorliebe wirklich als königliches Stift bezeichnete, hat Paulus Diaconus den Verfassungsrang Bayerns und aller seiner Regenten im Rückblick als königlich eingestuft. So ist er jedenfalls in der Folgezeit meistens verstanden worden. Wie in der langobardischen Tradition taucht auch im Urkundenmaterial der Frühzeit für Bayern vereinzelt der Begriff regnum auf. Die neueste Forschung rät zur Vorsicht: Vielleicht ist dieser Schlüsselbegriff doch ganz wertneutral lediglich als Herrschaftsraum zu verstehen. Denn die bayerische Historiographie der Agilolfingerzeit verwendet dieses Attribut nicht. Für Arbeo von Freising sind die agilolfingischen Landesherren durchwegs nur Herzöge (duces), die ein Herzogtum oder auch einfach fines, ein Gebiet, beherrschen[4].

Entsprechendes gilt für die fränkische Historiographie der Merowingerzeit. Sie verwendet mit Vorliebe das Herzogsattribut, um den verfassungsmäßigen Abstand des Randgebietes zum Frankenreich sachgerecht zu verdeutlichen. Einhard, der Geschichtsschreiber Karls des Großen, geht noch weiter, indem er in einem eigenen Kapitel auf die Zerschlagung des Herzogtums der Agilolfinger Bezug nimmt, das nach 788 nur mehr Grafen anvertraut worden sei (neque provincia - ulterius duci, sed comitibus ad regendum  commissa est)[5].  Dementsprechend spricht das amtliche Schriftgut der frühen Karolingerzeit weder von regnum noch von ducatus, sondern überwiegend noch neutraler nur von provincia.

Doch sollten sich diese Verhältnisse bereits nach wenigen Jahrzehnten ändern. Erstmals im Jahre 830 urkundete Ludwig der Deutsche als "von Gottes Gnaden König der Bayern" (Hludouuicus divina largiente gratia rex Baioariorum)[6]. Dieser Titel wird in seiner Kanzlei zur oftmals gebrauchten Herrscherintitulatio. Es wäre aber verfehlt, dieses Attribut mit Bayern in unmittelbare Beziehung zu bringen. Der Königstitel des 9. Jahrhunderts hängt an den karolingischen Herrschern und nicht an dem von ihnen regierten Land. Er bezeichnet nicht einen König der Bayern, sondern die Herrschaft der Karolingerkönige in Bayern. Das gilt auch für die Folgezeit, vor allem für Karlmann. Freilich kristallisierte sich die provincia Bayern unter diesen karolingischen reges immer mehr als Kern des sich verselbständigenden Ostfränkischen Reiches heraus. Und für dieses Kernland setzte sich auch im amtlichen Schriftgut allmählich wieder die Bezeichnung regnum durch. Noch immer hängt dieses Attribut vorwiegend an den das Land beherrschenden Karolingern, denen der Rang von Unterkönigen zukam. An der Begrifflichkeit der Urkunden orientierte sich die Historiographie, die mit dem Substantiv regnum in erster Linie  den nach wie vor ins Karolingerreich einbezogenen Reichsteil Bayern kennzeichnen wollte.

 

Fussnote(n):
[3] Paulus DIACONUS, Historia Langobardorum, hg. von Georg WAITZ, MGH SS rer. Langobard. et Ital., Hannover 1878, S. 109f.
[4] Arbeo von Freising, Vitae SS. Haimhrammi et Corbiniani, hg, von Bruno KRUSCH, MGH SS rer. Germ. 13, Hannover 1920, S. 14, 75, 203, 205, 214.
[5] Einhard, Vita Karoli Magni, hg, von Oswald HOLDER-EGGER, MGH SS rer. Germ. 25, Hannover-Leipzig 61911, S. 14.
[6] Die Urkunden Ludwigs des Deutschen, hg. von Paul KEHR, MGH DD dt. Karol. 1, Hannover 1932, S. 2 Nr. 2 u.ö.

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