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Diese Königsgedanken waren keineswegs immer auf das gleiche Ziel hin ausgerichtet. Im wesentlichen wird man drei Marschrouten auseinanderhalten dürfen. Zum einen zielten die Königspläne auf eine Aufwertung des bayerischen Herrschaftsraumes zu einem eigenen Königreich. Das war nur im Früheren Mittelalter unter den Agilolfingern und Luitpoldingern möglich, die Phasen der weitgehenden Selbständigkeit zur Rangerhöhung zu nutzen suchten. Dieses Ziel wurde unter ganz besonderen Umständen auch im Unterkönigtum der späteren Karolingerzeit erreicht. Seit dem Einbau ins Heilige Römische Reich durch die Ottonen war dann aber ein herrschaftlicher Rahmen vorgegeben, der die Aufwertung durch eine eigene Königskrone des Herrschers in Bayern unmöglich machte. Seitdem zielten die Königspläne auf den Aufstieg aus dem Herzogtum bzw. Kurfürstentum an die Spitze des Reiches durch die Erlangung der Königs- bzw. Kaiserwürde. Derartige Versuche durchziehen nahezu die gesamte Geschichte des Heiligen Römischen Reiches bis zu dessen Untergang. Freilich führten sie nur in Einzelfällen zum Ziel: unter Heinrich II., Ludwig dem Bayern und Karl VII. Albrecht. Sie waren meist von erbitterten Auseinandersetzungen begleitet. Die nachhaltigste Folge dieser Grundkonstellation war der Dauerkonflikt mit dem benachbarten Haus Habsburg, in dem wegen der begrenzten Machtressourcen Bayern in den meisten Fällen unterlag. Von seiten Frankreichs fanden diese Bestrebungen oftmals wirkungsvolle Unterstützung. Weil im Rahmen der Reichsverfassung die erhoffte Krone kaum zu erreichen war, zielten die Königspläne zum dritten auf den Erwerb von Kronen in anderen Ländern, an denen der Königsrang hing. Dazu wurde durchaus auch die Preisgabe der Stammlande in Erwägung gezogen. In diesem Sinne rückten Österreich, Böhmen, Ungarn, Polen, Dänemark mit den skandinavischen Königreichen, und Spanien, aber selbst die Lombardei, Sardinien, Sizilien, Neapel oder Galizien in den Gesichtskreis der bayerischen Politik. Doch waren diese Bemühungen höchstens kurzzeitig von Erfolg gekrönt. Die Bemühungen um auswärtige Kronen belegen in Eindringlichkeit, dass es zumindest in wittelsbachischer Zeit mehr um einen Königsrang für die regierende Dynastie als das beherrschte Land ging.
Je mehr das Heilige Römische Reich seinem Ende entgegenging, desto intensiver orientierte man sich an der Zeit vor dessen Gründung: Die Zustände dieser Frühzeit sollten wiederhergestellt werden. In diesem Sinne knüpfte man an die Agilolfinger und Luitpoldinger des Früheren Mittelalters an; die Wittelsbacher leiteten sich von diesen frühen Herzogsgeschlechtern ab und wollten an deren Politik erneuern.
Den angestrengten Bemühungen um eine Königskrone war über viele Jahrhunderte hin nicht das erhoffte Ergebnis in Form eines dauerhaften Erfolges beschieden. Eher wird man insgesamt Misserfolge festzustellen haben. Diese Königspläne haben das Land in viele kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt und haben ihm mehrfach schwere militärische Niederlagen mit schlimmer Okkupation eingebracht. Die Rechnung für die Königspolitik hatten als Kehrseite der Medaille mehrfach die Kleinen Leute zu bezahlen. Auch die zunehmende Staatsverschuldung im Laufe der Frühen Neuzeit ist vornehmlich Folge der Großmachtpolitik. Diesen mißlichen Folgen wird man auf der positiven Seite am ehestem die anspruchsvolle Kunst- und angestrengte Wissenschaftspflege der Wittelsbacher gegenüberstellen dürfen. Es ist heute nicht mehr angebracht, das ausufernde wittelasbachische Mäzenatentum mit dem Verschwendungsargument abzuurteilen. Die mit der Königspolitik untrennbar verbundene Kunst- und Wissenschaftspflege sind längst als zeitgemäße Äußerungen der Politik erkannt. Die in diesem Zusammenhang geschaffenen Leistungen gehören zu den wichtigsten Wertschöpfungen Bayerns überhaupt. Bis in unsere Gegenwart tragen sie ganz entscheidend zum Rang Bayerns als Kulturstaat bei.
Abschließend sei noch einmal die Ausgangsfrage aufgenommen: Hat die Bekanntmachung vom 1. Januar 1806 recht, wenn sie den Vorgang der Königserhebung auf alte innere Traditionen des Landes zurückführt oder haben die modernen Interpreten mit ihrem betonten Hinweis auf die bestimmende Rolle Frankreichs recht? Die angestellten Erörterungen konnten vor allem eines deutlich machen: Die Königserhebung von 1806 schließt sich an eine lange und breite Tradition an, die sich beständig steigerte, im 18. Jahrhundert schließlich gipfelte, und hinter die sie einen recht geradlinigen Schlusspunkt setzte. Daß die andauernden Hoffnungen und Bemühungen erst zu diesem späten Zeitpunkt in Erfüllung gingen, hängt aber ohne Zweifel mit der konkreten politischen Lage der Jahre um 1806 zusammen. Sie erst schufen dafür die Voraussetzungen. Deswegen ist die Formulierung eines alternativen Entweder - Oder zur Beantwortung der Ausgangsfrage unzureichend. Beide Stränge sind im Sinne eines Sowohl - Als auch zu berücksichtigen. Im Proklamationsakt vom 1. Januar 1806 wurde eine alte innerbayerische Tradition wirksam, die erst in der konkreten Politik der Jahre 1805/06 endlich die lange erhoffte Erfüllung fand. |
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