Ausgabe 04
Wintersemester 07/08
 
Die Historische Internetzeitschrift Von Studierenden für Studierende
 
  Aus dem Archiv (Ausgabe 02 - Sommersemester 06)
 

Schmid, Alois

 
 

Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

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Diese Königsgedanken waren keineswegs immer auf das gleiche Ziel hin ausgerichtet. Im wesentlichen wird man drei Marschrouten auseinanderhalten dürfen. Zum einen zielten die Königspläne auf eine Aufwertung des bayerischen Herrschaftsraumes zu einem eigenen Königreich. Das war nur im Früheren Mittelalter unter den Agilolfingern und Luitpoldingern möglich, die Phasen der weitgehenden Selbständigkeit zur Rangerhöhung zu nutzen suchten. Dieses Ziel wurde unter ganz besonderen Umständen auch im Unterkönigtum der späteren Karolingerzeit erreicht. Seit dem Einbau ins Heilige Römische Reich durch die Ottonen war dann aber ein herrschaftlicher Rahmen vorgegeben, der die Aufwertung durch eine eigene  Königskrone des Herrschers in Bayern unmöglich machte. Seitdem zielten die Königspläne auf den Aufstieg aus dem Herzogtum bzw. Kurfürstentum an die Spitze des Reiches durch die Erlangung der Königs- bzw. Kaiserwürde. Derartige Versuche durchziehen nahezu die gesamte Geschichte des Heiligen Römischen Reiches bis zu dessen Untergang. Freilich führten sie nur in Einzelfällen zum Ziel: unter Heinrich II., Ludwig dem Bayern und Karl VII. Albrecht. Sie waren meist von erbitterten Auseinandersetzungen begleitet. Die nachhaltigste Folge dieser Grundkonstellation war der Dauerkonflikt mit dem benachbarten Haus Habsburg, in dem wegen der begrenzten Machtressourcen Bayern in den meisten Fällen unterlag. Von seiten Frankreichs fanden diese Bestrebungen oftmals wirkungsvolle Unterstützung. Weil im Rahmen der Reichsverfassung die erhoffte Krone kaum zu erreichen war, zielten die Königspläne zum dritten auf den Erwerb von Kronen in anderen Ländern, an denen der Königsrang hing. Dazu wurde durchaus auch die Preisgabe der Stammlande in Erwägung gezogen. In diesem Sinne rückten Österreich, Böhmen, Ungarn, Polen, Dänemark mit den skandinavischen Königreichen, und Spanien, aber selbst die Lombardei, Sardinien, Sizilien, Neapel oder Galizien  in den Gesichtskreis der bayerischen Politik. Doch waren diese Bemühungen höchstens kurzzeitig von Erfolg gekrönt. Die Bemühungen um auswärtige Kronen belegen in Eindringlichkeit, dass es zumindest in wittelsbachischer Zeit mehr um einen Königsrang für die regierende Dynastie als das beherrschte Land ging.

Je mehr das Heilige Römische Reich seinem Ende entgegenging, desto intensiver orientierte man sich an der Zeit vor dessen Gründung: Die Zustände dieser Frühzeit sollten wiederhergestellt werden. In diesem Sinne knüpfte man an die Agilolfinger und Luitpoldinger des Früheren Mittelalters an; die Wittelsbacher leiteten sich von diesen frühen Herzogsgeschlechtern ab und wollten an deren Politik erneuern.

Den angestrengten Bemühungen um eine Königskrone war über viele Jahrhunderte hin nicht das erhoffte Ergebnis in Form eines dauerhaften Erfolges beschieden. Eher wird man insgesamt Misserfolge festzustellen haben. Diese Königspläne haben das Land in viele kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt und haben ihm mehrfach schwere militärische Niederlagen mit schlimmer Okkupation eingebracht. Die Rechnung für die Königspolitik hatten als Kehrseite der Medaille mehrfach die Kleinen Leute zu bezahlen. Auch die zunehmende Staatsverschuldung im Laufe der Frühen Neuzeit ist vornehmlich Folge der Großmachtpolitik. Diesen mißlichen Folgen wird man auf der positiven Seite am ehestem die anspruchsvolle Kunst- und angestrengte Wissenschaftspflege der Wittelsbacher gegenüberstellen dürfen. Es ist heute nicht mehr angebracht, das ausufernde wittelasbachische Mäzenatentum mit dem Verschwendungsargument abzuurteilen. Die mit der Königspolitik untrennbar verbundene Kunst- und Wissenschaftspflege sind längst als zeitgemäße Äußerungen der Politik erkannt. Die in diesem Zusammenhang geschaffenen Leistungen gehören zu den wichtigsten Wertschöpfungen Bayerns überhaupt. Bis in unsere Gegenwart tragen sie ganz entscheidend zum Rang Bayerns als Kulturstaat bei.

Abschließend sei noch einmal die Ausgangsfrage aufgenommen: Hat die Bekanntmachung vom 1. Januar 1806 recht, wenn sie den Vorgang der Königserhebung auf alte innere Traditionen des Landes zurückführt oder haben die modernen Interpreten mit ihrem betonten Hinweis auf die bestimmende Rolle Frankreichs recht? Die angestellten Erörterungen konnten vor allem eines deutlich machen: Die Königserhebung von 1806 schließt sich an eine lange und breite Tradition an, die sich beständig steigerte, im 18. Jahrhundert schließlich gipfelte, und hinter die sie einen recht geradlinigen Schlusspunkt setzte. Daß die andauernden Hoffnungen und Bemühungen erst zu diesem späten Zeitpunkt in Erfüllung gingen, hängt aber ohne Zweifel mit der konkreten politischen Lage der Jahre um 1806 zusammen. Sie erst schufen dafür die Voraussetzungen. Deswegen ist die Formulierung eines alternativen Entweder - Oder zur Beantwortung der Ausgangsfrage unzureichend.  Beide Stränge sind im Sinne eines Sowohl - Als auch zu berücksichtigen. Im Proklamationsakt vom 1. Januar 1806 wurde eine alte innerbayerische Tradition wirksam, die erst in der konkreten Politik der Jahre 1805/06 endlich die lange erhoffte Erfüllung fand.

 

 
Empfohlene Zitierweise:

Schmid, Alois: Die bayerische Königspolitik im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Aventinus. Die Historische Internetzeitschrift von Studenten für Studenten [Ausgabe 02 - Sommersemester 06],
www.aventinus.geschichte.uni-muenchen.de/index.php?ausg=2&id=40&subid=29
[Letzter Aufruf am xx.xx.xxxx]

 

Schmid, Alois

Geb. am 14.7.1945 in Hummelberg (Lkr. Regensburg). 1965: Abitur am Albertus-Magnus-Gymnasium in Regensburg. 1967-72: Studium der Geschichte, Germanistik und Sozialkunde an der Universität Regensburg. 1974: 1. Staatsexamen für das höhere Lehramt. 1974: Promotion (Bayer. Landesgeschichte) an der Universität Regensburg. 1974-77: Verwalter/Wiss. Assistent Universität Regensburg. 1977-82: Wiss. Assistent Universität München. 1982-88: Wiss. Mitarbeiter der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München. 1985: Habilitation (Mittlere und Neuere Geschichte) Universität München. 1985-88: Privatdozent Universität München. 1988: Vertretung (Neuere Geschichte und Landesgeschichte) Universität Passau. 1988-94: Prof. für Landesgeschichte Universität Eichstätt. 1994-98: o. Prof. für bayerische und fränkische Geschichte Universität Erlangen. 1998: Berufung an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 1999: Wahl zum 1. Vorsitzenden der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 2002: Wahl zum 2. Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der außeruniversitären historischen Forschungseinrichtungen in Deutschland (AHF).
Mitgliedschaften: u.a. Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften München 1993; Gesellschaft für fränkische Geschichte 1994; Schwäbische Forschungsgemeinschaft 1999; Bayerische Benediktinerakademie 2000; Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim 2000

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