Krocker, Nicolas
Rezension: Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts
Pohl, Hans (Hg.), Deutsche Bankiers des 20. Jahrhunderts, Franz Steiner Verlag Stuttgart 2008, 488 Seiten mit 30 Schwarzweißabbildungen, ISBN 978-3-515-08954-8, 39, 00 Euro.
Biographien über Entscheidungsträger der Wirtschaftsgeschichte sind zurzeit en vogue. Die Abhandlungen über den Bankier Hermann Josef Abs und den Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht stießen auch außerhalb der Fachgrenzen auf vielseitige Beachtung.[1]
Bei der Auswahl der 30 biographischen Portraits führender Persönlichkeiten des Bankenwesens ist der Herausgeber repräsentativ verfahren. Neben den bedeutenden Vorstandsmitgliedern der Großbanken sowie den wichtigsten Privatbankiers sind auch Vertreter der Sparkassenorganisation und der Kreditgenossenschaften Gegenstand der Darstellungen. Trotz der volkswirtschaftlichen Bedeutung dieser zwei dezentral organisierten Säulen des deutschen Kreditwesens, erlangten ihre Bankiers aufgrund der Organisationsform ihrer Kreditverbände bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein nur selten überregionale Bedeutung. Dies ist der Grund, warum nur drei (Fritz Butschkau, Georg Draheim, Johann Christian Eberle) Berücksichtigung finden.
Trotz des stetigen wirtschaftlichen Bedeutungsverlustes der Privatbankiers im Laufe des 20. Jahrhunderts thematisiert ein Großteil der Aufsätze die wichtigsten Vertreter dieses Berufsstandes.[2] Diese Kontradiktion kann jedoch dadurch gerechtfertigt werden, dass die Geschäftspolitik der Privatbanken in viel stärkerem Maße durch das Handeln einzelner Individuen bestimmt wurden als bei Aktienbanken, die gewöhnlich von einem Kollegialvorstand unter Vorsitz eines Vorstandsvorsitzenden oder eines „primus inter pares“ dirigiert wurden. Jedoch ist die Auswahl des Privatbankiers Iwan David Herstatt - verantwortlich für den spektakulärsten Bankenkonkurs in der BRD im Jahre 1974 - nicht rationalen Parametern, wie wirtschaftlicher Einfluss der Bank sowie entscheidende Aktivitäten des Genannten für die Entwicklung des Bankensektors, geschuldet. Vielmehr kann er als Paradebeispiel für fehlende unternehmerische Risikokontrolle angesehen werden, die es seinem Chefdevisenhändler ermöglichte, seine zum Ruin der Bank führenden höchst
spekulativen Geschäfte zu tätigen.[3] Nachhaltigen Einfluss übte Herstatt aber gerade durch die Insolvenz seines Bankhauses aus, da die Geschehnisse des Jahres 1974 die Gründung eines Einlagensicherungsfonds sowie die Einführung von Routineprüfungen durch die Finanzaufsicht zur Folge hatten.
Fast die meisten der biographischen Skizzen beziehen sich auf den aktuellen Forschungsstand zur Bankengeschichte und stehen auf breiter Quellengrundlage. Lothar Galls Beitrag über Hermann Josef Abs sowie der von Avraham Barkai über Oscar Wassermann sind gut zu lesende Exposés der kürzlich erschienen Monographien.[4] Dies ist zumal erfreulich, da es sich bei den zwei genannten Persönlichkeiten um die vielleicht wichtigsten Bankiers der Nachkriegszeit und der Weimarer Republik handelt. Die Beiträge zu zwei Spitzenbankern der 1970er und 1980er Jahre - Herrhausen und Christians – gleichen leider aufgrund fehlender wissenschaftlicher Studien zu dieser Epoche, ihrer Diktion sowie mangelnder Analyse eher journalistischen Nachrufen als historischen Fallstudien. Zwar wird mit Hans Luther die Reihe der Notenbankpräsidenten Schacht und Blessing komplettiert, aber wegen der Kürze seiner Darstellung erhält der Leser keinen ausreichenden Einblick in die Währungspolitik der Weltwirtschaftskrise.
Viele der angeführten Bankiers stehen beispielhaft für bedeutende Entwicklungen im Kreditgeschäft: Hermann Josef Abs für den Wiederaufstieg und die Reintegration der deutschen Großbanken nach dem 2. Weltkrieg, F. Wilhelm Christians sowie Jürgen Ponto für die zentrale Stellung der Banken im westdeutschen Wirtschaftssystems, Jakob Goldschmidt für den Aktienhandel, Alfred Herrhausen für die einsetzende Globalisierung deutscher Großbanken, Karl Rasche für die unternehmerische Expansion in Ostmitteleuropa im Zuge der nationalsozialistischen Eroberungspolitik, Max Warburg für die Netzwerke privater Merchant Banker und Oscar Wassermann für die herkömmlichen Konsortialgeschäfte. Ebenso werden die unterschiedlichen Typen wie die des strategischen oder politischen Bankiers thematisiert. Exemplifiziert wird dies am opportunistischen „Netzwerker“ Emil Georg v. Stauß, am politisch engagierten Robert Pferdmenges oder an den zwischen Privatwirtschaft, Verwaltung und Zentralbanken pendelnden Karl Blessing und Otto Schniewind.
Ein abschließendes Resümee wäre wünschenswert gewesen, um an komprimierter Stelle sich die wichtigsten Erkenntnisse vergegenwärtigen zu können und somit einen Ausblick auf den heuristischen Wert der Biographie für die Wirtschaftsgeschichte zu erhalten. Trotzdem umfasst der Sammelband sehr viele qualitativ hoch stehende Beiträge, die in ihrer Gesamtheit ein facettenreiches und höchst interessantes Bild der wirtschaftlichen, sozialen sowie politischen Entwicklung der deutschen Bankiers im 20. Jahrhundert nachzeichnen.
[1] L. Gall, Der Bankier Hermann Josef Abs. Eine Biografie, München 2004. C. Kopper, Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier, München 2006.
[2] Vgl. R. Ahrens: Rezension von: Institut für bankhistorische Forschung (Hg.), Der Privatbankier. Nischenstrategien in Geschichte und Gegenwart. 14. Wissenschaftliches Kolloquium am 29. November 2001 im Städelschen Kunstinstitut und Städtische Galerie, Frankfurt am Main, Stuttgart 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 1 [15.01.2004], URL: <http://www.sehepunkte.de/2004/01/3964.html> (abgerufen am 26. 9. 2008).
[3] Vgl. C. Dohmen, Commander Dattel und seine Goldjungs (WWW-Dokument http://www.sueddeutsche.de/finanzen/410/300408/text/), (abgerufen am 26. 9. 2008).
[4] A. Barkai, Oscar Wassermann und die Deutsche Bank. Bankier in schwieriger Zeit, München 2005.
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