Bösl, Elisabeth
Zwischen Romantik und Realismus. Das Literarische Deutschland im Vormärz 1815 bis 1848
Zwischen Romantik und Realismus liegt aus literaturwissenschaftlicher Sicht gesehen eine Sattelzeit: der Vormärz. In dieser Zeit wandelte sich die Gesellschaft sehr rasch. Technische Veränderungen bestimmten das Alltagsleben, das Interesse an diesen Neuerungen stieg, Buch und Zeitschrift waren Waren auf einem Markt. Die Hauptgattungen dieser Zeit waren Theaterstücke, also Trauer- und Lustspiele, sowie Briefromane und Reisebeschreibungen, das verkaufte sich. Dennoch waren die Leser immer noch sehr stark von der Literatur der Klassik und Romantik geprägt. Mit einer der Gründe, warum Deutschland so lange an diesen Epochen festhielt, war, dass sie in ganz Europa bekannt waren; die Deutschen konnten stolz auf ihre Kultur sein, die es zu so viel Ruhm gebracht hatte.
In den Schriftstellern des Vormärz keimte der Gedanke, dass eine neue Zeit auch eine neue Art von Literatur hervorbringen müsse. Sie waren sich bewusst, dass ein Schriftsteller sich nicht mehr dem Ideal hingeben durfte, die Gedanken der gesamten Menschheit zu verkörpern, sondern dass sie sich beschränken mussten. Die Folge davon war, dass besonders die jungen Schriftsteller nationaler und auch politischer wurden.
Eine Gruppierung national und liberal gesinnter junger deutscher Schriftsteller war das Junge Deutschland. Der Begriff kam erst 1835 mit dem Verbot einiger Autoren durch die Bundesversammlung auf, die unter dem Namen Junges Deutschland zusammengefasst wurden,. Es ist keine literarische Schule im engeren Sinne, sondern es einten diese Literaten vielmehr gleichartige Tendenzen wie die Aktualität der Thematik und der Kampf für die Ideale des fortschrittlichen Bürgertums. Die wichtigsten Vertreter waren Karl Gutzkow, Georg Büchner und Heinrich Heine.
Doch zunächst zu einem Autor, der weithin als Konservativer galt: August von Kotzebue.
1761 geboren, studierte er ab 1777 Jura. Nach Abschluß des Studiums 1780 kam er an den russischen Hof in St. Petersburg. Zwischen 1800 und 1806 lebte er unter anderem in Weimar und Paris, nach 1806 floh er nach Estland und gab dort antinapoleonische Zeitungen heraus. 1817 kehrte er nach Weimar zurück, wo er das "Litterarische Wochenblatt" herausgab, in dem er u.a. gegen Demokratie und Pressefreiheit zu Felde zog. 1819 wurde er vom Theologiestudenten Ludwig Sand ermordet, was den Anlass für die Karlsbader Beschlüsse lieferte. August von Kotzebue schrieb über 200 durchaus populäre Theaterstücke. Er thematisierte, im Gegensatz zu den als weitaus gefährlicher eingestuften Literaten des Jungen Deutschlands, "anstößige Themen" wie Ehebruch oder gefallene Mädchen. Er und seine Werke wurden deswegen scharf kritisiert, da sie allerdings jeder politischen Brisanz entbehrten, nicht verboten. Die Zeitgenossen nahmen eine gewisse Diskepanz zwischen Kotzebues gesellschaftlichen Ansichten und seinen Stücken wahr: Kotzebue sah in dem Wunsch nach Verfassungen und Nationalstaat ein ‘Irrlicht’ - er selbst war in seinen Schriften allerdings weder besonders konservativ noch umstürzlerisch. Seine Schriften wurden auf dem Wartburgfest wegen ihrer Unmoral verbrannt, und auch Sand wollte u.a. gegen Kotzebues Unmoral vorgehen. Sicher ist, dass die Zeitgenossen das Attentat Sands auch unter diesem Gesichtspunkt warnahmen.
Heinrich Heine, 1797 in Düsseldorf als Harry Heine geboren, studierte ebenfalls Jura und promovierte 1825. 1821 veröffentlichte er erste Gedichte, 1831 erfolgte seine Übersiedelung nach Paris, wo er 1856 nach langer Krankheit starb. Heines Ausgangspunkt in der Literatur ist die Romantik, aber er zeigte zugleich ein lebhaftes Interesse an den Widersprüchlichkeiten in der Übergangsgesellschaft seiner Zeit - ein Hinweis auf das Realistische in seinen Schriften. Er bewies einen straken Glauben an Humanität, Schönheit und den Kampf für diese Ideale, aber zugleich große Skepsis, in welchem Maße sie in seiner Zeit verwirklicht werden könnten. Sein Kunstideal besagte, dass der Mensch ohne direkten Kontakt zu seiner Welt und allen, auch den politischen Vorgängen darin, nicht künsterlisch tätig werden könne, von demher verkörperte das Junge Deutschland Heines Ideal einer politischen Kunst. Politisch gesehen stand Heine in Opposition zur restaurativen Monarchie, er verehrte die französische Kultur und wollte die Deutschen und die Franzosen einander näherbringen. Er bewegte sich im Spannungsfeld zwischen jüdischer Emanzipation, Assimilation, Nationalbewegung und sozialen Gegensätzen. Seine Liebe zu Deutschland klingt in seinen Gedichten überall an, auch wenn Satire vorherrscht.
Georg Büchner wurde 1813 in Darmstadt geboren und studierte Medizin, Naturwisenschaften, Geschichte und Philosophie. In Gießen schloß er sich der radikalen Freiheitsbewegung an und gründete 1834 die Gesellschaft für Menschenrechte, um die reaktionären Verhältnisse in Hessen zu ändern.1835 floh er wegen der von ihm und Ludwig Weidig verfassten Flugschrift "Der Hessische Landbote" nach Straßburg. Im Februar 1837 starb er in Zürich. "Der Hessiche Landbote" erschien, wie bereits erwähnt, 1834, verfasst wurde er von Büchner, anschließend aber von Weidig überarbeitet. Adressiert war er an Handwerker und Bauern, Rechnungen und Statistiken sollten den Beweis erbringen, dass die Regierung dem einfachen Volk nicht die Rechte gewährte, die ihm zustünden. Zur Bekräftigung werden Bibelzitate herangezogen. Nachdem nicht nur die Ineffizienz der Regierung insgesamt, sondern auch die der Stände vorgeführt wird, folgt ein Aufruf, ein Wachrütteln des Volkes, es solle sich seine von Gott gewollte Freiheit erkämpfen und dem Treiben der Fürsten ein Ende setzen. Büchners Revolutionstheorie besagte, dass ein Umsturz nur vom Volk ausgehen könne, und um das Volk dazu zu bewegen, müsse es erkennen, dass es unterdrückt werde und es besser haben könnte. Die Aufgabe der Intellektuellen sei es, das Volk eben darüber aufzuklären und es zu führen. Der "Landbote" war nicht nur in Hessen verbreitet, sondern beeinflusste auch nachfolgende Flugschriften und Reden und wird geschichtlich hoch bewertet. Für Büchner bedeutete das nicht nur das Exil, sondern auch den Rückzug aus der aktiven Politik. Er verfasste keine weiteren Flugschriften mehr, sondern äußerte seine Ideen in seinen Dramen. Die exakte Bestimmung Büchners politischer Position erschwert der Umstand, dass die Originalfassung des Hessischen Landboten nicht überliefert ist, er liegt uns heute nur in der von Weidig überarbeiteten Version vor. Büchners politisches Denken war so einfach wie radikal: Die soziale Ungerechtigkeit ist die Ursache aller Ungerechtigkeit.
Literaturhinweise:
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Hink, Walter: Die Wunde Deutschland. Heinrich Heines Dichtung. Frankfurt am Main 1990.
Kaeding, Peter: August von Kotzebue. Auch ein deutsches Dichterleben. Stuttgart 1988.
Liedtke, Christian: Heinrich Heine. Reinbeck bei Hamburg, 2. Aufl. 2006.
Poschmann, Henri (Hg.): Georg Büchner. Sämtliche Werke in zwei Bänden. Frankfurt 2002.
Schnierle, Herbert (Hg.): Heinrich Heine. A.d.R. Die großen Klassiker. Literatur der Welt in Bildern, Texten, Daten. Bd. 11. Salzburg 1980.
Stock, Fritjof: Kotzebue im literarischen Leben der Goethezeit. Polemik. Kritik. Publikum. Düsseldorf 1971.
Viëtor, Karl: Georg Büchner. Politik. Dichtung. Wissenschaft. Bern 1949.
Wittkowski, Wolfgang: Georg Büchner. Persönlichkeit. Weltbild. Werk. Heidelberg 1978. S. 87-111.
Žmegač, Viktor (Hg.): Kleine Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin, 5. Aufl. 1997.
- Alle Artikel von Elisabeth Bösl