Marx, Benjamin
Presseerzeugnisse im Vormärz (1815 bis 1848) im Spiegel der Ereignisgeschichte
Betrachtet man die Entwicklung des deutschen Pressewesens in der Zeit zwischen dem Wiener Kongress 1815 und dem Ausbruch der Revolution im März 1848, so lassen sich parallel zu den politischen Ereignissen dieses Zeitraumes verschiedene Entwicklungsphasen ausmachen. Nach der Verabschiedung der Bundesakte 1815, die ja in einem eigenen Artikel “gleichförmige Verfügungen über die Preßfreyheit“ in Aussicht stellte, kam es zu einer ersten Periode des Aufschwunges, in der das Pressewesen schnell anwuchs. Vier Jahre später jedoch wurde der erhofften Freiheit in Gestalt der repressiven Karlsbader Beschlüsse ein Riegel vorgeschoben und es folgte ein Jahrzehnt der massiven Unterdrückung und Verfolgung jeglicher freier journalistischer Aktivitäten. Anfang der Dreißiger Jahre war, bedingt durch die Julirevolution in Paris 1830 und die Ereignisse in Polen 1830/31, kurzzeitig eine erneute Stimmung des Aufschwungs zu bemerken, die aber bald wieder den altbekannten Zuständen strikter staatlicher Zensur weichen musste. Erst zu Beginn der Vierziger Jahre sammelte man wieder neuen Mut und im Zuge der zunehmenden Politisierung der Gesellschaft trat auch die kritische politische Berichterstattung allmählich in den Vordergrund. Der Bundesbeschluss vom 3. März 1848, der die allgemeine Pressefreiheit gewährte, bildete den vorläufigen Schlusspunkt dieser Epoche.
Durch den Einfluss der Zensur beschränkten sich große Teile der Pressepublikationen dieser Zeit auf unpolitische, harmlose Gebiete. Beliebt waren zum Beispiel die vielen belletristischen Journale, die explizit der Unterhaltung, Bildung und Belehrung dienen sollten, und Rezensionszeitschriften, die sich mit der Veröffentlichung und Besprechung zeitgenössischer Literatur und Wissenschaft beschäftigten. Ebenfalls sehr erfolgreich und bei den Lesern beliebt waren die durch die neuesten Bildreproduktionstechniken begünstigten illustrierten Zeitschriften, die sich an ein eher ungebildetes Massenpublikum wendeten.
Der große Erfolg derartiger Blätter sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich zur gleichen Zeit trotz aller Drangsal auch eine Anzahl deutlich politisch motivierter Publikationen zu etablieren begann. Obwohl man zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einer Tendenz- oder gar Parteienpresse sprechen kann, so gab es doch einige Zeitschriften und Zeitungen, deren politische Motivation unverkennbar war. Ob man sich bewusst parteilos gab oder lose Verbindungen zu den liberalen Gruppierungen der Parlamente unterhielt, anfangs war das Pressewesen eindeutig eine Bastion des liberalen Spektrums. Sämtliche spätere Zeitschriften- und Zeitungsgründungen konservativer Kreise sind als Reaktion auf die zunehmende Vereinnahmung der Presse durch liberale Kräfte zu verstehen. Lehnte man nämlich hier das Prinzip des Journalismus erst gänzlich ab, so erkannte man doch bald die immense Wichtigkeit dieses Mediums. Besonders in Preußen und Sachsen waren sie sogar Teil einer neuen aktiven, die Zensur ergänzenden, Pressepolitik der jeweiligen Regierungen. Neben den zahlreichen Blättern in staatlicher Hand gab es auch etliche, die von der Obrigkeit finanziell unterstützt und teilweise sogar trotz mangelndem Interesse der Öffentlichkeit am Leben erhalten wurden. Somit stand das Mittel der Presse allen gesellschaftlichen und politischen Lagern zu Verfügung und trug erheblich zur Verbreitung neuer Ideen bei. Besonders das Aufkommen überregionaler Presseorgane hat zur Einigung und Verständigung der bislang stark regional zersplitterten liberalen Bewegung beigetragen. Der Einfluss der Presse auf die deutsche Nationsbildung ist somit nicht zu unterschätzen.
Obwohl man vielen der im Vormärz entstandenen Zeitschriften und Zeitungen ihre politische Ausrichtung bereits ansah, war man von einer Parteienpresse, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägend war, noch weit entfernt. Das Fehlen organisierter Parteien und der stark hemmende Einfluss der Zensur ließen dies noch nicht zu. Dass das Pressewesen einen immensen Anteil an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung hatte und aus der gesellschaftlichen Realität nicht mehr wegzudenken war, zeigte spätestens die Explosion der Publikationstätigkeit im März 1848 nach der Einführung der Pressefreiheit.
Literatur:
Breil, Michaela: Die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ und die Pressepolitik Bayerns. Ein Verlagsunternehmen zwischen 1815 und 1848. Tübingen. 1996.
Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19.Jahrhundert (= Geschichte der deutschen Presse Teil 2). Berlin. 1966.
Obenaus, Sibylle. Literarische und politische Zeitschriften 1830 – 1848. Stuttgart. 1986.
Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2., bearb. Aufl.. Konstanz. 2005.