Bross, Fabian
Die Entstehung der Betriebsräte. Vom Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst zum Betriebsrätegesetz
1. Einleitung
Diese Arbeit möchte die Gründe für die Entstehung der Betriebsräte vom Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst von 1916 bis zum Betriebsrätegesetz 1920 erörtern und zeigen, dass das Hilfsdienstgesetz als Wegbereiter der Betriebsräte und des Betriebsrätegesetzes angesehen werden kann.
Die Geschichte der Betriebsräte lässt sich zurückverfolgen bis 1848 zu den Verhandlungen der Frankfurter Nationalversammlung.[1] Noch vor dem 1. Weltkrieg kam es durch Bergrechts- und Gewerbeordnungsnovellen in der Industrie zur freiwilligen Einsetzung von Arbeiterausschüssen, im preußischen Bergbau gar zu einer verbindlichen Einsetzung von Arbeiterausschüssen.[2] Diese Arbeiterausschüsse können als Vorläufer der Betriebsräte des Betriebsrätegesetzes angesehen werden.[3]
Die Fragestellung dieser Arbeit – nämlich wie es vom Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst zum Betriebsrätegesetz kam – legt eine chronologische Schilderung der Abläufe nahe.
Die Arbeit stellt die Entstehung des Gesetzes über den vaterländischen Hilfsdienst – im Weiteren auch als Hilfsdienstgesetz bezeichnet – dar, die Weiterentwicklung vom Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen, hin zur Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten bis hin zum Betriebsrätegesetz. Um die tatsächlichen Auswirkungen des Betriebsrätegesetzes und seine Neuerungen und Probleme deutlich zu machen, endet diese Arbeit mit einem Fallbeispiel.
Das Kapitel über das Hilfsdienstgesetz stützt sich hauptsächlich auf das Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919, das Kapitel über die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten, sowie das folgende Kapitel über das Betriebsrätegesetz samt Fallbeispiel basiert größtenteils auf Informationen aus Werner Plumpes Buch über die betriebliche Mitbestimmung von 1999. Plumpes Arbeit – die wohl aktuellste auf diesem Gebiet – beschäftigt sich hauptsächlich mit dem gesetzlichen Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung und, anhand von zwei Fallbeispielen, damit, wie Mitbestimmung unter den Gegebenheiten der Weimarer Republik praktiziert wurde.
2. Das Hilfsdienstgesetz vom 5.12.1916
Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst wurde von der Obersten Heeresleitung im Rahmen des Hindenburg-Programms veranlasst und sollte Kräfte für den Krieg mobilisieren und der revolutionären Bewegung entgegenwirken.[4] Es wurde in dritter Lesung vom Parlament verabschiedet.[5] Alle Männer zwischen dem 17. und dem 60. Lebensjahr, welche nicht zur Armee eingezogen worden waren oder nicht vor 1916 in einem agrarischen oder forstwirtschaftlichen Betrieb gearbeitet hatten, wurden nach diesem Gesetz verpflichtet in der Rüstungsindustrie oder in einem kriegswichtigen Betrieb zu arbeiten.[6] Durch dieses Gesetz wurde die freie Wahl des Arbeitsplatzes aufgehoben und dadurch konnten Menschen zum vaterländischen Hilfsdienst verpflichtet und somit politisch ausgeschaltet werden.[7]
Für die Durchführung des Hilfsdienstes wurde ein Kriegsamt eingerichtet.[8] Der Chef dieses Amtes General Gröner erklärte, dass er auf die Hilfe der Gewerkschaften angewiesen sei und dass sich bei den Lohnregelungen für die zum Hilfsdienst herangezogenen Arbeiter keine Nachteile ergeben würden. Außerdem sollten Arbeitervertreter zur Beratung und Entscheidung in allen Arbeiterfragen herangezogen werden und, um die Arbeiterinteressen zu wahren, sollte zusätzlich ein Gewerkschaftsvertreter in das Kriegsamt eintreten.[9]
Von den Gewerkschaften wurde die Erlassung eines Gesetzes gefordert, dass die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter schützen müsse. Dies wurde in einem ersten Entwurf, welcher dem Reichstag vorgelegt wurde, allerdings vernachlässigt.[10] Laut diesem Entwurf des Reichsamtes des Innern war für die Durchführung des Hilfsdienstes das Kriegsamt zuständig. Die Ausschüsse des Kriegsamtes, welche über die Hilfsdienstpflicht zu entscheiden hatten, sollten aus Militärs, Beamten, Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt sein. [11]
Auf diesen Entwurf hin, forderten Gewerkschaften aller Richtungen verschiedene Sicherheiten. Unter anderem Arbeiter- und Angestelltenausschüsse in allen Hilfsdienstbetrieben, Vereins- und Versammlungsfreiheit, besonderer Schutz für Jugendliche und Arbeiterinnen.[12]
Den meisten dieser Forderungen wurde Folge geleistet und das Gesetz umgestaltet. Sogar Arbeiterinnen wurden wahlberechtigt und wählbar gemacht. Um den Rechtsschutz der Arbeiter zu gewährleisten sollten Arbeiterausschüsse und paritätische Schlichtungsstellen eingerichtet werden.[13]
Konnte ein Streitfall nicht im Arbeiter- oder Angestelltenausschuss beigelegt werden, kam der Fall an eine paritätische Schlichtungsstelle (drei Arbeitgeber und drei Arbeitnehmer).
Wurde ein Schiedsspruch vom Arbeitgeber nicht anerkannt, so bekam der Arbeiter einen Entlassungsschein und durfte den Betrieb wechseln.[14]
Wurde ein Schiedsspruch von einem Arbeiter nicht anerkannt, so bekam er keinen Entlassungsschein und durfte vor Ablauf von zwei Wochen in keinem anderen Betrieb aufgenommen werden.[15]
Zunächst wurde nur öffentlich zum Hilfsdienst aufgefordert. Dabei durften sich die Freiwilligen den Betrieb selbst aussuchen. Wurde dieser Aufforderung nicht Folge geleistet, wurden die Personen angeschrieben und nötigenfalls zum Hilfsdienst gezwungen. Geachtet wurde auf das Alter, Familienverhältnisse, Wohnort, Gesundheit, ob der Lohn ausreichte (für die Familie), usw.[16]
Das Gesetz trat am 5.12.1916 in Kraft. Bei der Abstimmung im Reichstag erhielt es – im Gegensatz zu 235 Fürstimmen – nur 19 Gegenstimmen.[17]
Sieben Tage später tagte in Berlin ein Kongress aller Gewerkschaften und Angestelltenverbände, auf dem man sich bereiterklärte das Gesetz und die Durchführung des Hilfsdienstes zu unterstützen. Hervorzuheben sei laut dem Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands die Einigkeit dieser tagenden Verbände und dass die Einigungen bezüglich Handhabung des Gesetzes vom Kriegsamt toleriert wurden.[18]
Daraufhin tagte in Nürnberg die „Vereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände“, die eine Änderung des Gesetzes und eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Schlichtungsausschüsse verlangte. Diese Forderungen wurden im Reichstag zwar verhandelt, aber abgelehnt.[19]
Das Gesetz enthielt zwar keinen Passus, der besagte, dass Gewerkschaften oder die Presse kriegswichtige Einrichtungen seien. Dennoch stimmte der Reichstag und das Kriegsamt zu, dass weder Presseleute noch Interessenvertreter von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern zum Hilfsdienst herangezogen werden sollten.[20]
Die bedeutenden Innovationen des Gesetzes waren also, 1. dass die Arbeiter sich mit eigenen Listen zur Wahl stellen konnten und sich damit eine Unabhängigkeit vom Betrieb sichern konnten und 2. die Möglichkeit sich bei ungelösten Konflikten an eine von Arbeitgebern und Gewerkschaftern paritätisch besetzte Schiedsstelle zu wenden.[22] Die Einführung einer derlei gestalteten Mitbestimmung durch das Hilfsdienstgesetz bezeichnet Hans Jürge Teuteberg als „das Ende der einseitigen Fabrikherrschaft“.[23]
3. Das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen und die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten vom 23. Dez. 1918
Durch das Hilfsdienstgesetz erhielten die Gewerkschaften Zugang zu den Großbetrieben und die Anzahl der Lohnkonflikte nahm rasch zu. Die immer lauter werdenden Proteste der Arbeitgeber wurden aber von den Behörden überhört. So kam man 1918 im Reichswirtschaftsamt zu der Ansicht das man die Arbeiterausschüsse entweder in der Gewerbeordnung verankern oder ein eigenes Gesetz schaffen müsse, welches Arbeiterausschüsse garantierte.[24]
Das Hilfsdienstgesetz wurde jedoch 1918 kurz nach der Oktoberrevolution aufgehoben. Abgelöst wurde es vom Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen vom 15. November 1918. Es führte dazu, dass viele Arbeiterausschüsse abgesetzt wurden, da man der Ansicht war, dass sie nicht entschieden genug auftraten. Da aber das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen sehr unkonkret formuliert war, wurde das Handeln der neuen Arbeiterausschüsse, welche sich nun in Konkurrenz zu den Gewerkschaften sahen mehr und mehr unübersichtlich.[25]
Das Zentralarbeitsgemeinschaftabkommen, auch Stinnes-Legien-Abkommen genannt, geriet – wie auch das Hilfsdienstgesetz – „in den Sog der revolutionären Forderungen“.[26]
Die Unklarheit über die weitere Entwicklung der Arbeiterausschüsse wurde erst beseitigt, als auf dem ersten Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin 1918 klar wurde, dass Deutschland eine parlamentarische Republik werden würde.[27]
Am 23. Dezember 1918 erließ das Reichsarbeitsamt die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten.[28] Die Aufgabe des Arbeiterausschusses verlagerte sich vom reinen Vermittler, hin zum Vorposten der Gewerkschaften im Betrieb und zum Überwacher der Tarifvereinbarungen.[29]
Diese Verordnung gestand den Ausschüssen sogar das Recht zu, bei einem Nichtexistieren von Tarifregelungen – in Absprache mit den Gewerkschaften – selbst Tarifverhandlungen mit dem Unternehmer aufzunehmen. Während das Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen nur Betriebe mit über 50 Mitarbeitern betraf, waren jetzt alle Betriebe mit über 20 Mitarbeitern eingebunden.[30]
Was der Verordnung allerdings noch – wie dem Hilfsdienstgesetz – fehlte war 1. eine Regelung der Aufgaben, Rechte und Pflichten der Ausschüsse und 2. eine Regelung zum Schutz der Interessenvertreter vor unternehmerischer Willkür.[31]
Als es in Mitteldeutschland zu immer stärkeren Streiks kam, veranlasste Reichsarbeitsminister Gustav Bauer den „Artikel 165 der Reichsverfassung und als dessen Folge das Betriebsrätegesetz“.[32]
4. Das Betriebsrätegesetz von 4. 2. 1920
Aufgrund des Drucks von Arbeitskämpfen an der Ruhr und in Mitteldeutschland im Frühjahr 1919 legte die Regierung einen Entwurf eines Betriebsrätegesetzes vor.[33] Dieser Entwurf wurde v.a. von betrieblichen Interessenvertretungen und der freien Angestelltengewerkschaft abgelehnt, da wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte fehlten. Daraufhin wurde ein zweiter Entwurf vorgelegt, welcher vorsah zwei Vertreter der Arbeiterschaft in die Aufsichtsorgane großer Kapitalgesellschaften zu entsenden. Dieser Entwurf wurde wiederum von den Arbeitgebern mit der Begründung, eine Einsicht in den Aufsichtsrat komme einer Einsicht in Betriebsgeheimnisse gleich, abgelehnt.[34]
Als das Gesetz im Februar 1920 in Kraft trat, enthielt das Gesetz letztendlich eine Aufsichtsratsvertretung der Betriebsräte, diese sollte jedoch nur soziale Belange vertreten.[35]
Betriebsräte gab es nun in Betrieben über 20 Beschäftigten und bei Betrieben mit weniger Beschäftigten wurden Obleute gewählt.[36] Bei einem Betriebsrat mit über neun Mitgliedern musste ein vierköpfiger Ausschuss gebildet werden, welcher paritätisch aus Angestellten und Arbeitern bestand. Aktives Wahlrecht erhielten alle Beschäftigten des Betriebes über 18 Jahren, das passive Wahlrecht alle Beschäftigten, die länger als ein Jahr in dem Betrieb arbeiteten und über 24 Jahre alt waren.[37]
Die Tätigkeit als Betriebsrat erfolgte ehrenamtlich und Sitzungen sollte möglichst außerhalb der Arbeitszeiten abgehalten werden. Jedoch mussten die Arbeitgeber bei nötigem Arbeitsausfall den Lohn weiterzahlen. Den Betriebsräten durfte laut dem Betriebsrätegesetz kein Nachteil entstehen.[38]
Betriebsräte wurden jeweils für ein Jahr gewählt und waren nun endlich gegen Sanktionen der Arbeitgeber geschützt. Entlassung oder Versetzung eines Interessenvertreters war nur mit Zustimmung des Betriebsrates möglich. Jedoch konnte der Arbeitgeber – wenn er wollte – indirekt eingreifen, da Mitglieder des Wahlvorstandes und Listenkandidaten keinen Kündigungsschutz genossen. Dies wurde bis 1933 nicht geändert. Geändert wurde nur 1928 die Möglichkeit des Arbeitgebers, die Wahl durch Verzögerungen zu behindern, in dem er seiner Pflicht einen Wahlvorstand einzuberufen nicht nachkam.[39]
Da Neuwahlen abgehalten werden mussten, wenn die Zahl der Interessenvertreter eine gewisse Anzahl unterschritt, hatte man ein Mittel, durch Kollektivrücktritte Neuwahlen zu erzwingen.
Die Sitzungen der Betriebsräte waren nicht öffentlich und der Betrieb hatte die entsprechenden Räumlichkeiten zu stellen.
Der Betriebsrat hatte sich u.a. zu bemühen um:
- eine hohe Wirtschaftlichkeit des Betriebs
- Wahrung des Betriebsfriedens
- Mitwirkung bei der Verwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen
- Überwachung von Tarifverträgen
- Bekämpfung von Unfallgefahren
- Mitwirkung bei Entlassungen (Kündigungseinspruchsrecht)[40]
Eine der wichtigsten Neuerungen des Betriebsrätegesetztes war der Schutz der Betriebsräte vor unternehmerischer Willkür, eine Innovation, die den Vorgängergesetzen gefehlt hatte.[41]
Das Betriebsrätegesetz sah vor, dass die Betriebsräte alle nötigen Unterlagen Einsehen durften, sofern damit keine Betriebsgeheimnisse bekannt gegeben würden und verpflichtete sie gleichzeitig stillschweigen zu bewahren. Der Arbeitgeber hatte einen Vierteljahresbericht bei den Betriebsräten abzugeben.[42]
Am 5. 2. 1921 trat ein Gesetz in Kraft, welches bestimmte, dass die Unternehmensleitungen den Betriebsräten nur Gesamtbilanzen und eine Gewinn- Verlustrechnung vorzulegen war – und dies nicht einmal schriftlich. Diese sollte erläutert werden. So waren die Betriebsräte auf das Wohlwollen der Unternehmensleitungen angewiesen, da solche Zahlen ohne eine Erläuterung aussagelos sind. Des Weiteren war den Betriebsräten eine Überprüfung der Zahlen ohnehin unmöglich.[43]
Nach langem Hin und Her wurde am 1. Februar 1922 ein Gesetz verabschiedet, welches es den Betriebsräten erlaubte, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, welche gleichgestellt waren und also auch den gleichen Haftungsbestimmungen unterlegen waren. Dies bedeutete eine Gleichberechtigung von Interessenvertretern und Eigentümerrepräsentanten. Jedoch zeigten die Unternehmer kein Interesse an der Zusammenarbeit mit den Betriebsräten und gaben dies auch öffentlich zu.[44]
Obwohl das Betriebsrätegesetz und seine Anwendungsgesetze gegen den Willen der meisten Arbeitgeber durchgesetzt wurden, kam es von nun an kaum zu Initiativen zur Änderung des Gesetzes.[45]
4.1 Beispiel Leverkusener Farbenwerke
Die Leverkusener Farbenwerke wurden 1891 von der Firma Bayer als durchrationalisierte chemische Fabrik nördlich von Köln gegründet.[46] Die Unternehmensorganisation war technokratisch und hervorragend durchorganisiert.[47]
Ab der zweiten Hälfte des Jahres 1916 bekamen die Farbenwerke zunehmend Probleme mit Facharbeitermangel, der einen Leistungsrückgang bewirkte.[48]
Trotz Zwangsarbeitern und Bemühungen neue Arbeitskräfte zu gewinnen, blieb die Facharbeiterzahl zu gering.[49]
Durch die große Unzufriedenheit über die Löhne, die Arbeitsbedingungen, die Arbeitszeit und durch immer knapper werdende Lebensmittel, verschlechterte sich die Stimmung im Werk gegen Winter 1916/17 drastisch. Dieser Cocktail gemischt mit einer Gerüchteküche unter den Arbeitern führte das Werk kurz vor einen Arbeiterstreik. Ende Februar 1917, nachdem es Unruhen in den Werkstätten gegeben hatte, wurde ein handschriftlicher Forderungszettel aus einer Reparaturschlosserei an die Direktion übergeben. Um 17 Uhr, so hieß es in dem Papier, werde man die Arbeit niederlegen, sollte allen Forderungen nicht nachkommen werden.[50]
Der Vorstandsvorsitzende Carl Duisberg appellierte noch am selben Tage bei einer Sitzung mit 50 Arbeitern an deren Vaterlandsliebe in schwerer Stunde. Jedoch machte er Zugeständnisse: Nahrungsmittel sollten verbilligt angeboten werden, die Arbeitszeit verkürzt und der Lohn, angemessen zur verkürzten Arbeitszeit, ausgeglichen werden. Damit waren die Arbeiter zur Weiterführung der Arbeit bereit.
Zwar hatte Duisberg bei der Lohnfrage Zugeständnisse verweigert, jedoch bewilligte die Werksleistung individuelle Lohnerhöhungen, was jedoch durch die undurchsichtigen Lohnabrechnungen vielen Arbeitern nicht bewusst wurde.[51]
Anfang März veranstaltete der Metallarbeiterverband Köln eine Arbeitsversammlung um über das Hilfsdienstgesetz aufzuklären, auf der von Unternehmensvertretern zweierlei beobachtet wurde: 1. Zahlreiche Gewerkschaftsbeitritte und 2. eine brodelnde Gerüchteküche.[52]
Am 26. März 1917 fanden die ersten Arbeiterausschusswahlen nach dem Hilfsdienstgesetz statt. Grundsätzlich gab es hier nur zwei Listen: Die der Gewerkschaften und die des Werksvereins. 13 Mandate fielen auf Gewerkschaftler und nur 2 Mandate auf Werksvereinler, die Wahlbeteiligung betrug allerdings nur 51%. Der Durchschnittliche Mandatsträger war mindestens seit 1914 in der Firma, wohnte in einem Ortsteil des späteren Leverkusen und war verheiratet.[53]
Zwar waren die ersten Sitzungen des Arbeiterausschusses durchweg konstruktiv, aber die Unzufriedenheit im Werk stieg und die Leistungsbereitschaft sank dementsprechend. Die Werksleitung bemühte sich, der heillos überforderten Küche den nötigen Anbau zu gewähren, man wollte den Schwer- und Schwerstabreiter/innen Sonderzulagen zahlen und gab denjenigen Arbeitern Sonderurlaub, die eine kleine Landwirtschaft hatten.[54]
Vor der nächsten Arbeiterausschusssitzung die für den 4. Juni 1917 vorgesehen war, häuften sich die Eingaben und Beschwerden der Arbeiter, die über allerlei Ungerechtigkeiten zu klagen wussten. Der Arbeiterausschuss sammelte die Eingaben und bearbeitete sie indem er sie mit Argumentationen untermauerte. So kehrte er unter anderem Duisbergs Vaterlandsargument um und appellierte nun an die Werksleitung, den Arbeitern Zugeständnisse zu machen, um den Durchhaltewillen der Arbeiter zu unterstützen.[55]
Das erfolgreiche Arbeiten des Betriebsrats hing in erster Linie mit der konjunkturellen Entwicklung des Betriebs zusammen.[56] Nach 1920 verlor der Betriebsrat an Bedeutung und 1923/24 war seine Situation schon mehr als ungünstig. Als 1916/17 Arbeitermangel herrschte, war den Wünschen der Beschäftigten nachgegeben worden, da sie – bedingt durch den Arbeitermangel – am längeren Hebel saßen. Als sich die Situation des Werks 1923/24 verbessert hatte, verlagerten sich die Handlungsmöglichkeiten zugunsten der Werksleitung. Es hat sich hier auch gezeigt, dass der Betriebsrat immer dann überspielt worden war, wenn eine der beiden Seiten geglaubt hatte, durch eigenständiges Handeln größere Erfolge zu erzielen.[57]
4.1.1 Beispiel a): Betriebsrat wird nicht ernst genommen
1921 kam es zum Fall „Creutzburg“. Der Arbeiter Ernst Creutzburg wollte sich im Januar 1921 bei seinem Meister abmelden um seine sich angehäuften sechs Überstunden „abzubummeln“, er berief sich hierbei auf den Leiter der Sozialabteilung, der gesagt haben sollte, dies wäre rechtens. Als ihn der Meister abwies, ging er zum Betriebsführer, der ebenfalls darauf bestand, dass er bleibe und weiter arbeite. Daraufhin, „klingelte“ Creutzburg beim Arbeiterrat „an“, von dem er gegenüber dem Meister behauptete, dass er gesagt habe, dass er gehen dürfe. Daraufhin verließ Creutzburg die Fabrik, was ihm eine Kündigung einbrachte. Noch als der Betriebsrat über einen Streik verhandelte, brach dieser aus.[58]
4.1.2 Beispiel b): Werksleitung
Ende Juli 1920 gab es erstmals einen zehnprozentigen Lohnsteuerabzug, woraufhin die Arbeiterschaft heftig reagierte. Nachdem die Werksleitung alle Klagen zurückwies, besetzten Arbeiter die Villa des Direktoriums und drängten die Werksleitung dazu die Steuern zu übernehmen. Dies wurde später für ungültig erklärt und am Sonntag den 8. August 1920 entschied sich die Werksleitung dazu die Fabrik am nächsten Tag geschlossen zu lassen und alle Arbeiter zu entlassen. Die Arbeiterschaft wurde in einer Sitzung mit dem Betriebsrat dazu aufgefordert sämtliche den Betriebsfrieden störende Arbeiter zu entlassen.[59]
5. Schluss
Am Ende dieser Arbeit soll in einem kurzen Abriss der Verlauf der Ereignisse dargestellt werden, um – wie anfangs erwähnt – zu zeigen, dass das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst der Wegbereiter des Betriebsrätegesetzes war.
Die Reichsregierung fürchtete, dass der im Rahmen des Hindenburg-Programms eingeführte Hilfsdienst zur Kräftemobilisierung im Ersten Weltkrieg[60], zu Unruhen innerhalb der Arbeiterschaft hätte führen können.[61]
Um dem vorzubeugen, machte die Regierung Zugeständnisse,[62] welche im Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst von 1916 verankert wurden, wobei als wichtigste die Einführung von Arbeiter- und Angestelltenausschüssen und die Möglichkeit bei Streitigkeiten eine Schiedsstelle anzurufen zu nennen seien.[63]
Abgelöst wurde das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst, nachdem dieses nach der Oktoberrevolution aufgehoben wurde[64] vom Arbeitsgemeinschaftsabkommen, gefolgt von der Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten. Auf der Grundlage dieser Verordnung veranlasste Gustav Bauer, der Reichsarbeitsminister, den Artikel 165 der Reichsverfassung, aus dessen Folge das Betriebsrätegesetz von 1920 entstand.[65] Dieses schützte nun – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – die Betriebsräte weitgehend vor unternehmerischer Willkür.[66]
Die Angst vor Unruhen führte zum Hilfsdienstgesetz, welches den Arbeitern Zugeständnisse machte, welche von nun ab schwerlich wieder zurückzunehmen waren. Die weitere Entwicklung hin zum Betriebsrätegesetz stand in Kontinuität zum Hilfsdienstgesetz indem die Rechte der Arbeiter sukzessiv ausgebaut wurden.
[1] Rudi, Schmidt, Rainer, Trinczek: Der Betriebsrat als Akteur der industriellen Beziehungen. In: Walther Müller-Jentsch (Hrsg.): Konfliktpartnerschaft. Akteure und Institutionen der industriellen Beziehungen. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. München und Mering 1999, S. 103 – S 128, hier S. 103.
[2] Werner, Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung in der Weimarer Republik. Fallstudien zum Ruhrbergbau und zur Chemischen Industrie. München 1999 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 45). S. 37.
[3] R., Crusius, G., Schiefelbein, M., Wilke, (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. Von der Selbstverwaltung zur Mitbestimmung. Erster Band. Berlin 1978. S. 46.
[4] Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919. In: Crusius, R., Schiefelbein, G., Wilke, M. (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. Von der Selbstverwaltung zur Mitbestimmung. Erster Band. Berlin 1978. S. 51 – 57, hier S. 51.; Hans Jürgen, Teuteberg: Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland. Ursprünge und Entwicklung ihrer Vorläufer im Denken und in der Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts. Tübingen 1961 (= „Soziale Forschung und Praxis“. Herausgegeben von der Sozialforschungsstelle an der Universität Münster, Band 15). S. 508.
[5] Klaus-Dieter, Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. Sozialökonomische Interessenbildungsprozesse bei der betrieblichen Mitbestimmung in Deutschland und Frankreich von 1815 bis zu ihrer derzeitigen Gestaltungsform. Wirtsch.- u. Sozialwiss. Diss. Aachen 1982. S. 41.
[6] Gerhard, Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte. Von den Anfängen bis zur Kapitulation 1945. 3., überarbeitete Auflage. Stuttgart 1979. S. 534; Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst. In: Johannes, Junck, Eugen, Schiffer (Hrsg.): Der vaterländische Hilfsdienst. Erläuterungen und Materialien zum Gesetze über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916. Berlin 1917. § 1. S. 1.
[7] Horst, Bartel: Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. Erster Band. Berlin 1969. S. 696.
[8] Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919. In: R., Crusius, G., Schiefelbein, M., Wilke (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. S. 51.
[9] Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919. In: R., Crusius, G., Schiefelbein, M., Wilke (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. S. 51.
[10] Ebd. S. 52.
[11] Ebd.
[12] Ebd.
[13] Ebd.
[14] Ebd. S. 53; Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 39/40.
[15] Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919. In: R., Crusius, G., Schiefelbein, M., Wilke (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. S. 53.
[16] Ebd.
[17] Ebd. S. 54.
[18] Ebd.
[19] Ebd. S. 54/55.
[20] Ebd. 56.
[21] Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst. § 12. S. 6.
[22] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 38.
[23] Teuteberg: Geschichte der industriellen Mitbestimmung. S. 508.
[24] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 38/39.
[25] Ebd.
[26] Werner, Milert, Rudolf, Tschirbs: Von den Arbeiterausschüssen zum Betriebsverfassungsgesetz. Geschichte der betrieblichen Interessenvertretung in Deutschland. Köln 1991. S. 40 und 45.
[27] Heinrich August, Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924. Berlin/Bonn 1984. S. 97 – 111.
[28] Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 47.
[29] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 40.
[30] Ebd.
[31] Ebd.
[32] Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 46.
[33] Horst, Bartel: Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. Erster Band. Berlin 1969. S. 270.
[34] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 41.
[35] Bartel: Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. S. 270.
[36] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 45.
[37] Ebd. S. 40/45/46.
[38] Ebd. S. 46
[39] Ebd.
[40] Ebd. S. 47
[41] Ebd. S. 49.
[42] Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 52.
[43] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 52.
[44] Ebd. S. 54/55.
[45] Ebd. S. 56.
[46] Ebd. S. 67.
[47] Ebd. S. 69/70.
[48] Ebd. S. 78.
[49] Ebd.
[50] Ebd. S. 78/79.
[51] Ebd. S. 79.
[52] Ebd.
[53] Ebd. S. 80.
[54] Ebd. S. 81.
[55] Ebd.
[56] Ebd. S. 246.
[57] Ebd.
[58] Ebd. S. 149 – 154.
[59] Ebd. S. 138 – 144.
[60] Horst, Bartel: Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. Erster Band. Berlin 1969. S. 696.
[61] Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 41.
[62] Ebd.; Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 38.
[63] Protokoll des 10. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands in Nürnberg 1919. In: R., Crusius, G., Schiefelbein, M., Wilke (Hrsg.): Die Betriebsräte in der Weimarer Republik. S. 51.
[64] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 39.
[65] Feldmann: Die Betriebliche Willensbildung in Deutschland und Frankreich. S. 46.
[66] Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung. S. 49.
- Alle Artikel von Fabian Bross